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Scharfe Kritik an Gauweilers Amoklauf

■ Bayerischer AIDS–Katalog löst weit und breit Empörung und Entsetzen aus / „Verfolgungsmethoden, die sonst nur in Diktaturen angetroffen werden“ / Erhebliche Bedenken auch von Gesundheitsministerin Süssmuth

München/Berlin (ap/dpa/taz) - Scharfe Kritik hat der bayerische Maßnahmen–Katalog gegen AIDS provoziert, der mit umfangreichen Zwangs– und Kontrollmaßnahmen (s.taz von gestern) gegen die Verbreitung der Krankheit vorgehen will. Die AIDS–Expertin der Grünen, Heike Wilms–Kegel, sprach von der „Endlösung für AIDS– Betroffene“. Verfolgung und Aussonderung seien die neuen Maßstäbe bayerischer Gesundheitspolitik unter völliger Mißachtung von Grund– und Menschenrechten. Der Maßnahmenkatalog enthalte Verfolgungsmethoden, die sonst nur in Diktaturen angetroffen werden. Berlins Gesundheitssenator Ulf Fink kritisierte, die bayerischen Maßnahmen würden die Ausbreitung der tödlichen Krankheit eher fördern. Der Staat wiege durch solche Art von Maßnahmen die Menschen in trügerischer Sicherheit. Da Betroffene und Verdächtige praktisch von jeder normalen Tätigkeit ausgeschlossen werden sollen, könne ein „terroristisches Potential“ herangezüchtet werden. Vermutlich werde es nun Abwanderungen bayerischer AIDS–Infizierter geben. Dies bedeute aber, daß andere Länder gezwungen würden, bei der Lösung des bayerischen AIDS–Problems mitzuhelfen. Bundesgesundheitsministerin Süssmuth äußerte „erhebliche Bedenken“. Das Sexualverhalten der Menschen - der Gesunden wie der Infizierten - könne nicht wirksam kontrolliert werden. Deswegen müsse man auf das Verantwortungsbewußtsein setzen. Die Ministerin äußerte die Befürchtung, daß die bayerischen Beschlüsse „zu einem erheblichen Rückgang der anonymen Tests führen werden, daß sich weniger statt mehr Prostituierte und Drogenabhängige testen lassen“. Die „Arbeitsgemeinschaft bayerische AIDS–Hilfen“ protestierte „voller Entsetzen gegen die Zwangsmaßnahmen. Der AIDS– Katalog greife tief in die Intimsphäre der Bürger ein und be schneide sie in ihren demokratischen Grundrechten. Dennoch würden diese Maßnhamen auf dem Verwaltungsweg durch Rechtsverordnungen am Parlament vorbei durchgesetzt. Die bayerischen AIDS–Hilfen fordern alle, die von diesen Maßnahmen erfaßt werden, auf, sich mit den zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln zu wehren. Sie fordern alle niedergelassenen Ärzte auf, ihre Schweigepflicht nicht zu brechen, ihre Patienten nicht zu melden und sie nicht den Repressionen des Staates auszuliefern. Der FDP–Politiker Norbert Eimer erwog ein Anti–Diskriminierungsgesetz für AIDS–Infizierte. Eimer, Obmann im Bundestagsausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, forderte ein solches Gesetz für den Fall, daß nun Unternehmer dem Beispiel der bayerischen Regierung folgten und Einstellungen von der Vorlage eines AIDS–Tests abhängig machten. Die Grünen im bayerischen Landtag sprachen von einer „Katastrophe für eine wirksame AIDS–Bekämpfung“ und einem „Generalangriff auf die Grundrechte“. Das eigentliche Ziel des Katalogs sei „die Möglichkeit zur hemmungslosen Verfolgung gesellschaftlicher Randgruppen“. Das bayerische Parlament sei bei der Verabschiedung völlig übergangen worden. Die Grünen kündigten an, sie würden durch einen Dringlichkeitsantrag im Landtag versuchen, den Regierungsvorstoß so lange zu stoppen, bis sich der Landtag damit befaßt habe. Dagegen begrüßte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Bayern den Maßnahmenkatalog und forderte zusätzlich einen speziellen Schutz für Polizeibeamte im Umgang mit AIDS–Infizierten, wie Handschuhe und Mundschutz. „Absonderung“ von Infizierten Zur Frage der im Maßnahmen– Katalog angedrohten „Absonderung von uneinsichtigen Infizierten“ hat man sich im bayerischen Innenministerium noch keine konkreten Gedanken gemacht. Bestimmte Krankenhäuser oder therapeuthische Einrichtungen wurden noch nicht ins Auge gefaßt. Auf jeden Fall soll der HIV– Positive in einem geschlossenen Krankenhaus oder der geschlossenen Abteilung eines Krankenhauses verwahrt werden. „Das darf man sich aber nicht so vorstellen, daß die für den Rest ihres Lebens abgesondert werden“, betonte der Sprecher des Innenministeriums, Ladzig. Vor allem gehe es darum, Prostituierten, die wissen, daß sie infiziert sind, „einen gewaltigen Dämpfer zu verpassen“. Die strafrechtliche Verfolgung dazu laufe parallel. „Es gibt bisher keinen Fall, wo wir jemanden abgesondert haben“, betonte er. Der verordnete Kondomzwang für Prostituierte sei primär zum Schutz der Prostituierten. Daß diese Kontrolle problematisch sei, räumte er ein. „Sicher können wir keinen Beamten daneben stellen.“ Wie Staatssekretär Gauweiler hofft man dabei auf „entsprechende Hinweise aus der Scene“.

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