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Archiv-Artikel

Schaltfehler vor Gericht Probefahrt in den Höchstschaden

Zurückgeschlickte Haare hat er schon mal nicht, auch keine echt italienischen Lederschuhe oder Designersportjeans. Harald L. wurde zumindest dem Aussehen nach nicht dazu geboren, Ferrari zu fahren. Er trägt kariert mit Weste, leicht zerzauste Haare, schlicht die Hose.

Anscheinend muss man aber wie ein Ferrari-Fahrer aussehen, um ihn fahren zu dürfen. Möglicherweise ist es so, dass der rote 355 Spider Cabrio nicht von einem wie Harald L. gefahren werden wollte. L. hatte den Wagen nur zur Probe. Er war früher Autorennen gefahren, ein Freund von damals ist nun Ferrari-Händler in Kassel und gab ihm das Gefährt für eine Woche umsonst. Vorbei war die Fahrt aber schon am ersten Tag, als L. in der Yorckstraße mit der Schaltung nicht klarkam. Die Traktionskontrolle war ausgeschaltet. Nun sieht der Ferrari so aus, wie sich das Actionfilmrequisitoren für die Szene nach dem Showdown wünschen. Doch der Schrotthaufen aus Ferrariblech war echt und der Schaden 100.000 Euro hoch.

Eine Familie hat Harald L. übrigens auch noch mitgenommen. Er rammte ein Fiat-Ducato-Wohnmobil, in dem fünf Leute saßen, darunter zwei Kinder. Alle wurden verletzt. Und weil Zeugen des Unfalls die Lage so einschätzten, Ursache könne auch gewesen sein, dass der Ferrari mit 100 Sachen um die Ecke bog, ist L. nun vor dem Amtsgericht angeklagt, „grob verkehrswidrig an unübersichtlichen Stellen zu schnell gefahren zu sein“ und andere fahrlässig verletzt zu haben.

Harald L. glaubt, dass die Passanten wegen der Lautstärke des Motors sein Tempo falsch schätzten. „Ich kann mir das nicht vorstellen“, sagt er. Die Richterin sagt: „Wenn Sie sich die Fotos von dem Unfall anschauen, dann können Sie es sich vielleicht schon vorstellen.“ Der Verteidiger sagt: „Beide Fahrzeuge fuhren 50.“ Das macht 100 und drückt das Blech stark ein.

Welche Version stimmt, konnte die Richterin gestern nicht klären. Alle, die außer L. dabei waren, sind nicht gekommen. So hatte sie wenig Material für ihre Waagschale. L. wird auf sein Urteil bis zum 15. Oktober warten müssen. Das ist nicht schön für ihn, genauso wenig wie die ungeklärte Schadensersatzfrage und dass sein Führerschein weg ist, er ein neues Kniegelenk braucht, nicht mehr arbeiten kann und psychische Probleme hat – Angst vor Autos. Einen Freund weniger hat er auch, der Ferrari-Händler aus Kassel sei „bedient“, berichtet Harald L traurig.

Trotzdem ist seine Liebe zum Ferrari rein wie frisch polierter Lack. Ihn begeistert, dass man jeden Stein fühlt, über den man fährt, und überhaupt „das ganze Fahrverhalten“. Eine Boulevardjournalistin will von ihm wissen, welche Farbe der Wagen hatte: „Schon rot?“, fragt sie. „Ja“, sagt Harald L., „schön rot.“ MAREKE ADEN