Sanssouci: Vorschlag
■ Open Air auf der Insel
Wo schwitzende Leiber in der Sonne braten, die Schlangen vorm Baustellenklo immer zu lang sind und die Bratwurst als Jointersatz kreist, da ist meist Open Air. Bei solcherart Veranstaltungen interessiert traditionell mehr der eigene Drang zu Frischluft als die Ergüsse der auftretenden Musikanten, auch weil diese je nach Windrichtung oft nur schwer zu vernehmen sind. So leisten sich denn nur die einschlägigen Mega-Stars solche vom musikalischen Standpunkt äußerst zweifelhaften Gigantomanie, die kalkuliert, daß die eigenen Fans sie so abgöttisch verehren, daß ein paar hüpfende Punkte auf einer zwei Kilometer entfernten Bühne ihnen schon zum Glücke reichen.
Für die durchschnittliche Independent-Band fällt ein solches Vergnügen normalerweise aus, weil das geeignete Open-Air-Gelände für 43 Zuhörer noch nicht erfunden ist. Doch weil die Insel der Jugend, kaum, daß sie glücklich im real existierenden Kapitalismus angekommen war, sich ihrer ruhmreichen Vergangenheit als Veranstaltungsort des „Berliner Rocksommers“ erinnerte, ist nun auch das möglich.
Und so versammeln sich heute zum Beispiel S.Y.P.H. , die man inzwischen guten Gewissens als verdiente Deutschrocker bezeichnen kann. Dann die Subtones, immer noch Berlins versierteste Rüschenhemden- und Topffrisuren-Träger. Da wäre dann noch Hardcore von Chocolate, die hervorgegangen sind aus den Resten der englischen Sink, und die ebenfalls englischen Bowlfish, denen der Ruf vorauseilt, eingängigen Pop zu machen, wenn sie nicht gerade ihre Kaufsucht stillen.
Dann ist es vielleicht schon dunkel und einige finden die Chemieklos nicht mehr. Hier treten die Dambuilders auf den Plan, ihres Zeichens nach Magnum das einzige künstlerische Lebenszeichen aus Hawaii von Rang. Ihr Gitarrenpop fieselt gemein an den Ohren, die hektischen Töne wollen nicht zum Wohlklang passen. Ähnlich verhält es sich mit unseren Hamburger Lieblingen Blumfeld, wenn auch eher auf textlicher Ebene. Deutschwort kann Gutwort sein, wundervoll Pop ist auch dabei.
Die Starsstarsstars des Abends waren mal als Überraschung geplant, dürfen aber nun doch verraten werden. Es ist das überzeugendste Ehepaar der populären Musik seit Johnny Hallyday und Sylvie Vartan (wenn auch mit deutlich weniger Skandalen). Gestern noch in Hoboken, New Jersey, heute schon auf unserer Showbühne: Georgia Hubley am Stehschlagzeug, Ira Kaplan an der Gitarre und noch jemand am Baß, dessen Name auch egal ist. Während sich auf ihren Platten die sentimentale Ader (Georgia) und das Rabaukentum (Ira) hübsch gleichberechtigt abwechseln, bricht live meist der Velvet Unterground aus. Bratzbratz mit viel Verzerrverzerr inklusive Rückkoppelkoppel in Viertelstundenversionen.
Mal abgesehen von der für Open Airs absolut konkurrenzlos guten Bandzusammenstellung ist auf der Insel auch das Problem mit den Chemieklos (wenn man keinen klaustrophobischen Anfall bekommt, dann nur, weil es schon überläuft) keines, denn der Weg in den Klub geht zwar bergauf, ist aber durchaus zu schaffen. Thomas Winkler
Heute ab 16 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow
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