Sanssouci: Vorschlag
■ The Notwist und Naked Lunch im K.O.B.
Der Spätsommer des Jahres 1988 gehörte Dinosaur Jr. J.Mascis stierte von jedem Magazintitelbild, die zäh flirrenden Töne des Trios durchwehten jede Nacht, und ganz nebenbei wurde Neil Young von einer Generation wiederentdeckt, die bisher geglaubt hatte, daß er schon längst tot sei. Ein Lehrbeispiel, daß es nicht nur wichtig ist, die richtige Musik zu machen, sondern auch am richtigen Ort zu sein. Doch die Geschichte kennt nur Gewinner und Verlierer. Und Weilheim, ein Städtchen mit 10.000 Einwohner in der Nähe von München, ist definitiv kein Ort für Gewinner. Dort spielten The Notwist schon lange vor dem notorischen Mascis denselben Neil-Young-inspirierten, jaulend-weinerlichen, ins Stahlbad getauchten, überquellenden Folkcore. Aber während Dinosaur Jr. als das heißeste Ding seit der Erfindung der Radioröhre gehandelt wurden, spielten die Gebrüder Acher immer noch in der örtlichen Dixieland-Kapelle, um sich neue Gitarrensaiten kaufen zu können.
Nun sind sie angetreten, der Gerechtigkeit der Geschichte auf den Zahn zu fühlen. Ihre zweite Platte „Nook“ ist bei weitem spannender als die letzten Veröffentlichungen von Mascis. Von einigen produktionstechnischen Problemchen wie dem allzu blechernen Schlagzeug und einem kaum zu hörenden Bass abgesehen, ist „Nook“ die beste Platte, die Dinosaur Jr. bisher versäumt haben zu machen. Tatsächlich ist das Spektrum von Notwist sogar größer. Sie können nicht nur schnelle und langsame Melancholiker, sondern beherrschen zudem auch knüppelndes Stakkato, das zum Glück allerdings nur sehr vereinzelt und dezent eingesetzt wird.
Noch weiter südlich liegt Österreich, ein Land, das ein ziemlich weißer Fleck auf der Musiklandkarte ist. Die Ausnahme kommt aus Klagenfurt und heißt Naked Lunch. So wenig diese Band sich darüber Gedanken gemacht hat, warum sie einen Buchtitel von Burroughs Name verwendeten („naked sollte drin vorkommen“), so sehr spielt sie mit Anspielungen auf mögliche außermusikalische Referenzen. Ein Statement zur Kunst: „Kunst ist kategorischer Imperativ. Kommerz ist Überlebenstrategie. Wir betrachten uns als Grenzgänger.“ Doch alles bleibt vage, unausgesprochen, vielleicht nur ein getarnter Witz?
Solch müßige Überlegungen lösen sich beim Hören von „Balsam“ in Wohlgefallen auf. Naked Lunch sind einfach eine sehr gute Rockband, die bestenfalls durch ihr poppiges Potential auffällt, das selbst durch die harten Gitarren hindurchdringt. Einmal spielen sie hart stampfende Riffs mit leichten Core-Hüpfern, dann wieder einen flotten Popsong mit mehrstimmiger Harmonie. Was sie zu dem Verwirrspiel mit dem nicht eingelösten Kunstanspruch treibt, beantwortet auch die Musik nicht. Thomas Winkler
Heute um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg
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