Sanssouci: Vorschlag
■ Marie Menkens Filmpoesie im Arsenal
Aufgemerkt, Nachtschwärmer, Mondsüchtige, Schlaflose: Hier kommt Eure Stunde. An drei düsteren Dezemberabenden zeigt das Arsenal endlich die kleinen funkelnden Filme von Marie Menken, einer Pionierin der amerikanischen Filmavantgarde, die vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren in ihrem Loft in Brooklyn werkelte, an der Seite eines Mannes, der ebenso trunken war wie sie, mit wenig Geld und Blick auf nebulöses Manhattan.
Damals hatten einige Immigranten den in Europa aussterbenden Surrealismus ins Amerikanische übersetzt: Was in Buñuels „Un Chien Andalou“ noch den Stachel der Widerborstigkeit gegen die traditionellen Formen der Repräsentation, gegen die bürgerlichen Auslassungen von Sex und Gewalt war, das wurde in Amerika eine Art „Cinema Automatique“ (der Zufall, das Unbewußte führt die Kamera) mit psychologisch-mythischem Einschlag, einer Art Pop-Freud mit großer Aufmerksamkeit für die materiellen Qualitäten des Films. Während sich Namen wie Maya Deren, Stan Brakhage oder Gregory Markopoulos leicht in diese Beschreibung fügen, entwischt Marie Menken, die Litauerin, jeder genaueren Eingrenzung.
Als Malerin hatte sie immer versucht, durch Lichtschimmer und Farbkonstellationen die Bilder in Bewegung zu bringen. Als ein GI ihr dann seine Kamera lieh, stellte sie fest, daß eigentlich nichts näher lag, als zu filmen. Ihr erster Film, „Variations on Nogushi“ (1945), ist eine Fahrt durch das Skulpturenstudio des Bildhauers, bei dem sie die feinen Maserungen des Holzes, die organischen Schwünge seiner Formen nachzeichnet, wie ein Segelflieger mal kopfüber, mal angeschrägt, in einem eigenen, von wunderlicher Musik (Lucille Dlugoszewski) begleiteten Rhythmus.
Das ganze Spektrum von Menkens alchemistischer Filmkunst zeigt sich in „Notebook“: Komponiert von der leichten Hand eines en passant Bemerkenden sieht man Regentropfen auf eine Seeoberfläche prasseln, einen nächtlichen Fackelzug griechisch- epiphanischer Prozession, der einen ins Mittelalter zu beamen scheint, und schließlich, mein Herzstück, den Mond hinter Wolken tanzend, durch wogendes Geäst erhascht. Ein Wind geht, die Dinge sind in Bewegung, rasche Schatten fallen hier und da, die Nacht lebt.
Ähnlich wie viele ihrer Zeitgenossen, die sich nie völlig von narrativen oder dramatischen Elementen losgelöst haben, trifft man auch in Menkens scheinbar abstraktesten Konfigurationen auf kleine Tragödien: „Hurry, Hurry“ öffnet mit einer atemberaubenden Explosion von Feuerwerkskörpern, die übergeht in den Tanz von Spermien unter dem Mikroskop, die von einem Spermatozid getötet werden. Unterlegt von Flammen und einer Geräuschkulisse aus dem Luftkrieg, entsteht eine Allegorie auf menschliche Sexualität, das Drama der Biologie.
Das Spektrum des visuellen Materials, mit dem Menken arbeitet, ist enorm: Sie kann die vergoldeten Eisenstreben der Gartentore in Versailles zum Ringeln bringen; die Schiffe auf dem East River surren in rasender Geschwindigkeit hin und her, Blattadern spreizen sich, Korallenperlen rotten sich zusammen, die Achterbahn auf Cony Island zischt ins All – die Objekte leben. An Menken kann man genau sehen, wie der poetisch-psychologische Film der vierziger und die Überreste des Surrealismus der fünfziger Jahre langsam die Fühler zur Pop-art ausstreckt: Die Gegenstände wenden sich ab von der Natur hin zu den Profanitäten des Alltags, den Reklameschildern, Autos, Schaufenstern; die Kamerabewegungen sind nicht mehr malerisch, fließend, sondern holperig, assoziativ; statt ruhiger Komposition jetzt erratische Montage, Eingriffe ins Tempo, Beschleunigungen statt Zeitlupe.
Der Verein zur Förderung feministischer Film-Bildungsarbeit, der sich schon seit geraumer Zeit durch intelligente Programmgestaltung hervorgetan hat, zeigt Menkens Filme in dem Kontext, in den sie gehören: Man sieht einen Film ihres Mannes, Williard Maas, „Geography of the Body“, einen der schönsten Maya-Deren-Filme, „At Land“, und ein Werk von Kenneth Anger, „Eaux D'Artifice“, auf den Menken mit „Arabesque for Kenneth Anger“ direkt antwortete. Man spürt die subterrane Lebendigkeit der damaligen Filmszene, die Verbindungen untereinander, kann Linien ziehen und Widerspiegelungen erkennen. Damals brachten Filmemacher ihre frischen Produkte nachts in die kleinen Kinos in Greenwich Village, der Vorführer legte sie ein, man ließ die Rollen zirkulieren und wurde von kongenialen Geistern kritisiert. Home Movies waren da zugleich ökonomische Notwendigkeit wie ästhetische Wahl – gegen die fette Saturiertheit Hollywoods die Bescheidenheit des Hinterhofgeflackers. Wer sich eher für die Sechziger und die Pop-art interessiert, sei auf Menkens Porträt von Andy Warhol verwiesen (1965) und auf ihren Auftritt in Warhols eigenem Film „The Life of Juanita Castro“ (1965).
Kurze Zeit nachdem ihr Loft mit den vielen Schatzkästchen und Reliquienschreinen abgebrannt und sie selbst vom Alkohol aufgedunsen und zermürbt war, starb sie, die 1910 von litauischen Eltern in New York geboren wurde, im Herbst 1970. Jonas Mekas, ein Seelenverwandter und der Gründer der ersten Film Makers Cooperative in New York, schrieb in seinem bestürzten Nachruf: „Maries Filme waren ihr Blumengarten. Sie waren alle sehr farbig und süß und vollkommen und nicht zu mächtig, alle mit Liebe gemacht und gepflegt, ihre kleinen Filme — und oh wie unbedeutend sie sind, verglichen mit den großen Filmen, die in dieser Stadt gespielt werden und die die großen Fragen behandeln... He, aber du kannst in ihrem Garten sitzen zwischen den Blumen von Marie Menken, und sie werden dich mit Süße und himmlischen Düften erfüllen und einem wahrhaft seltenen Glücksgefühl, einer Freude am Leben...“ mn
„Marie Menkens Filmpoesie“: Dreiteilige Reihe vom 9.-11.12. um 20 Uhr und 22.30 im Arsenal, Welserstraße 25. Am 10.1. 93, um 16 Uhr zeigt das Arsenal Filme von Regisseuren, „die Marie Menken schätzte“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen