Sanssouci: Nachschlag
■ Frauen in der Psychiatrie Eine Vortragsreihe in der „Begine“
„Frauen haben, Männer machen Probleme.“ Auf diesen bestechend schlichten Nenner hat einmal Christina Thürmer-Rohr das Geschlechterarrangement der Konfliktverarbeitung gebracht. Während Männer Kriege anzettelten oder Asylbewerberheime anzündeten, bewältigten Frauen in der Regel ihre Frustrationen auf vergleichsweise harmlose, wenn auch selbstschädigende Art: Sie bekommen Panikattacken, werden depressiv, magersüchtig oder bulimarektisch und landen so beim Seelenarzt. Schätzungsweise drei Viertel aller Therapiekliniken sind weiblich. Die vorsorgliche Selbst-Entsorgung durch Therapie – eine moderne Variante „der Widerspenstigen Zähmung“? Nicht von ungefähr hat Franziska Schneider die Vortragsreihe im Frauenkulturzentrum „Begine“, die sich mit Frauen in Therapie und Psychiatrie befaßt, so überschrieben.
Die universitäre Misere war Thema des Vortrags von Claudia John und Anne Kurth vom Psychologischen Institut der FU. Sie beschrieben die akademische Psychologie als ungebrochen androzentrische Wissenschaft. Die Gleichung Mann gleich Mensch gelte noch immer, Frauen würden bloß als das „Spezifische, der Zusatz, die Fußnote“ aufgefaßt. Da handeln dann, wie John und Kurth nachwiesen, moderne Psychologie-Lehrbücher die spezifischen Lebensbedingungen von Frauen auf gerade zwei von 700 Seiten ab. Und wenn sich als fortschrittlich verstehende Psychologen Macht und Machtmißbrauch in Therapien reflektieren, lassen sie geflissentlich das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern außer acht. Die Ignoranz der akademischen Psychologie gegenüber feministischen Denkansätzen entspricht der Arroganz der Schulmedizin gegenüber homöopathischen Methoden. Welche heilsamen Wirkungen eine naturheilkundliche Behandlung gerade bei psychischen Störungen hat, machte die Heilprakterin Anna Ochsenknecht in ihrem Vortrag deutlich. Ob Depression, Schlaflosigkeit oder zu geringe Antriebskraft, kein Zipperlein, für das die Homöopathie keine Heilpflanze kennt. Anna Ochsenknechts ganz spezielles Interesse gilt dem Psychopharmaka- Entzug mit Hilfe pflanzlicher Mittel. Sie entwickelte zusammen mit einem Arzt eine Pharmaka-Entzugstherapie, die auch bei psychiatriebetroffenen Frauen mit langjährigem Medikamentenkonsum erfolgreich ist.
Die Situation von Psychiatriepatientinnen war ursprünglich auch der Ausgangspunkt von Roswitha Burgards Analysen. Sie hatte in ihrem 1978 erschienenen Buch „Wie Frauen verrückt gemacht werden“ präzise beschrieben, wie Männergewalt Frauen „wahnsinnig“ macht, und damit der psychiatrischen Lehre widersprochen, die von aus dem Inneren kommenden, biologischen Ursachen psychischer Krankheiten ausgeht. Auch heute noch landen Frauen aufgrund patriarchaler Strukturen in der Psychiatrie, werden mit Hilfe medizinischer Diagnoseschemata etikettiert und mit Psychopharmaka ruhiggestellt. Wer allerdings von Burgards Vortrag in der „Begine“ zur feministischen Therapie grundsätzlich neue Einsichten erwartete, wurde enttäuscht. Nach einem verheißungsvollen Anfang, der eine kritische Auseinandersetzung mit den Methoden und Zielsetzungen feministischer Therapie versprach, faßte sie im wesentlichen bereits bekannte Statements zusammen: Da wurden als Grundprinzipien feministischer Therapie unter anderem eine Teilidentifikation mit und Parteilichkeit für die Klientin als wichtige Therapieziele genannt, „Mut zur Wut“ oder die Überwindung von Scham- und Schuldgefühlen. Als grundsätzlichen Unterschied zu herkömmlichen Therapien betonte sie den Blickwinkel auf gesellschaftliche Ursachen psychischer Probleme sowie die Thematisierung von Männergewalt. Nicht angesprochen wurde dagegen zum Beispiel die Warenförmigkeit therapeutischer Beziehungen, die auch auf die feministische Therapie als einem Dienstleistungsverhältnis zwischen Frauen zutrifft. Auch mögliche Wechselwirkungen zwischen männlicher Destruktivität und politisch-ökonomischen Bedingungen blieben ausgespart. So erschien als Ursache allen Übels eine quasi naturwüchsige Männergewalt, die wie ein böser Bazillus seit Urzeiten die Menschheit befallen hat. Prompt wurde in der anschließenden Diskussion kritisiert, daß Burgard Frauen hauptsächlich als Opfer männlicher Gewalttaten darstelle, und dann wurde über psychische Gewaltausübung von Frauen zum Beispiel in Form „erdrückender Liebe“ von Müttern nachgedacht. Welche Brisanz solche Überlegungen haben, wurde in Dorothea Rulas Vortrag deutlich. Die „Wildwasser“-Mitarbeiterin hatte sexuell mißbrauchte Frauen nach ihren Thearapieerfahrungen mit Frauen befragt. Ihr Fazit: Viele Therapeutinnen waren mit der Mißbrauchsthematik überfordert. Etliche Frauen hatten sich über einen Machtmißbrauch der Therapeutin beklagt. Frauen mit sexuellen Gewalterfahrungen bringen nach Rulas Beobachtung anfangs viel Mißtrauen in die Behandlung mit, was sich zum Beispiel in einer Infragestellung des Therapiesinns und der Kompetenz der Therapeutin ausdrückt. Waren die Therapeutinnen nicht fähig, mit dieser Kritik umzugehen, wurde die hilfesuchende Frau schnell in die Position der „schwierigen Klientin“ gebracht. Einzelne Therapeutinnen schoben zu anstrengende Klientinnen auch einfach in die Klinik ab. Den Vorwurf des Abschiebens mußte sich aber auch „Wildwasser“ gefallen lassen. „Ihr grenzt Psychiatriebetroffene aus“, wurde von einer Zuhörerin vorgebracht. Sie war, weil sich die Anleiterin überfordert gefühlt hatte, nicht in eine „Wildwasser“-Selbsthilfegruppe aufgenommen worden. Ähnliche Erfahrungen hatte sie auch in anderen Frauenprojekten gemacht. In der anschließenden Diskussion zeigten sich einige der Schwierigkeiten, die sogenannte psychiatriebetroffene und „normale“ Frauen miteinander haben. So wurde eher ein Aneinandervorbeireden als ein Dialog zustande gebracht. Provokant stellen „verrückte“ Frauen Fragen an das Selbstverständnis der Projekte, an ihre Zielsetzungen und ihre Bürgerlichkeit: Kann es sein, daß frau als Klientin zwar gerne Opfer sexueller Gewalt sein darf, aber bitte nicht zu schrill und insistierend, zu offensichtlich kaputt oder anders und schon gar nicht psychiatriebetroffen? Dagmar Schediwy
Diese Diskussion wird explizit noch einmal am 16.12. fortgeführt.
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