Sanssouci: Vorschlag
■ „Fahrstuhl zum Schafott“ von Louis Malle
Ein Pariser Bürohaus, Tag. Obwohl zunächst nichts weiter geschieht, sind die Nerven dieses Films von Anfang an zum Zerreißen gespannt. Die Trompete von Miles Davis warnt: Eine Schlinge zieht sich zu, und sie liegt auch um euren Hals. Ein Büroangestellter geht zu seinem Chef; wir wissen längst, daß er mit dessen Frau ein Verhältnis hat (Verhältnis ist gar kein Ausdruck: Sie fiebern nacheinander), er bringt ihn um, er überwindet seine Sekretärin, den Portier und alle anderen weltlichen Hindernisse, aber die Luft flirrt vor Hitze, und ein dummer Teenager mit seinem Mädchen schnappt sich sein Fluchtauto (es wird auch ihn ins Desaster führen), der Mann eilt zurück ins Bürohaus und – ratsch! schnappt die Falle zu: Er bleibt im Aufzug stecken. Stunden später wird er für das Verbrechen gesucht, das der junge Tölpel in seiner erotischen Verwirrung begangen hat.
Die Trompete schreit. Es ist Nacht, Jeanne Moreau läuft durch die Straßen, nicht wissend, daß ihr Geliebter im Aufzug steckt, sie hat nur Gerüchte gehört, er sei ein Frauenheld, sie flüstert seinen Namen... Die Gesichter dieser Nacht, die gläserputzenden Barkeeper, die lachenden Huren, die quietschenden Bremsen, die geilen Soldaten und das traurige Glänzen des Asphalts dringen auf die Moreau ein: Die Braut trägt Schwarz, an solchen Momenten ist sie immer zu unglaublicher Größe gewachsen, sie hat einen ganzen Camus-Roman im Gesicht.
Kaum zu glauben, daß dieser Film ein Debüt war: Louis Malle hatte als Assistent von Robert Bresson und dem Tiefsee-Spezialisten Jaques-Yves Cousteau gearbeitet, bevor er 1957 „Ascenseur pour l'echafaud“ drehte. Die Mischung, die das Ganze so schwindelerregend macht, diese kaum verklausulierte Kastration und das existentialistische Flair des „Du wirst für deine Freiheit bezahlen müssen“ kann Malle unmöglich geahnt haben damals, mit 25. Kaum zu glauben auch, daß die Musik, die aus dem Nirwana zu rufen scheint, eine erste Improvisation war: Miles kam und sah und spielte, und diese Töne, die sich einem in die Knochen brennen, sind dabei herausgekommen.
Von den ungefähr zwanzig Malen, die ich den Film nun gesehen habe, spielte sich das letzte in einer spanischen Bodega ab, in einer Betonsiedlung bei Valencia. Der leichte Modergeruch, der vom Meer herüberwehte, die kranken Katzen, die durch die Straßen hinkten, und die Cuba Libres, die wir hastig in uns hineinfüllten, hätten uns eigentlich unempfänglich machen sollen für diese Art von Passion. Aber der konstante Geräuschpegel, der dort ständig herrschte, war mit dem Zuschlagen der Fahrstuhltür zum Stillstand gekommen, und es sprach auch keiner, als der Film zu Ende war, weil wir alle die Schlinge um den Hals gespürt hatten und in die Nacht hinaustreten wollten, die immer neue bereithält. Mariam Niroumand
Heute um 00.45 im „Moviemento 2“, Kottbusser Damm, Kreuzberg
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