Sanssouci: Vorschlag
■ Alfredo Jaar – Eine Ästhetik zum Widerstand
Seltsam verwirrend winden sich die Spuren der Weltgeschichte im Fries des Pergamonaltars ineinander: von der Repräsentation antiker Herrschaftsverhältnisse, die ihre Darstellung im Kampf von Herakles und den Göttern gegen die aufständischen Giganten findet, über die aufstrebende Macht des wilhelminischen Reiches, für dessen Triumph der Altar im 19. Jahrhundert als Beute nach Berlin transportiert wurde, hin zum antiimperialistischen Mahnmal des Sozialismus. Und seit dem Fall der Mauer stärkt der Schatz aus hellenistischer Zeit wieder dem deutschen Volk als Vergewisserung seiner in Freiheit vereinigten Stärke symbolisch den Rücken. Sogar die Industrie hatte in den Wirren der Nachwendezeit kurzfristig zu Füßen des Altars Geschäftsabschlüsse oder -abwicklungen gefeiert. Fast ist man geneigt, im Bau die monumentale Befestigung dessen zu sehen, was die deutsche Philosophie einst Weltgeschichte als Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit geheißen hat – „ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben“.
Der chilenische Künstler Alfredo Jaar straft mit einer bedrückenden Installation im Pergamonmuseum die hehren Worte Hegels angesichts der bundesdeutschen Gegenwart Lügen. Rostock, Eisenhüttenstadt oder Mölln stehen mahnend als einige Städtenamen unter vielen in Neonschrift auf die Stufen des Altars geschrieben. Ihre Auflistung ist unvollständig, die Treppenanlage würde gar nicht alle fassen können, wie der Kurator Frank Wagner in einer ausliegenden Informationsbroschüre erklärt. Es ist trotzdem keine reine Formsache in punkto moralische Empörung geworden. Eher entspricht die Auswahl der fragmentarisierten Sicht, mit der man in Deutschland Fremdenhaß und Rassismus begegnet. Sie aber äußert sich auf der anderen Seite in beinahe schon ungebrochenen Rundumschuldzuweisungen an den mißgünstigen Osten als autoritäre Drill- und Brutstätte einer wiederum autoritätslosen Jugend, während die Parteispitzen im Westen das Asylrecht abzuschaffen versuchen. Die zarten Neons muten aus dieser Sicht eher als schüchterner Eingriff an, wenn man bedenkt, daß der Innenminister bereits Radar- und Videoabwehr zur Sicherung der Grenzen plant. Die Logistik hat neue Ziele gefunden, und so wird auch der deutsche Rassismus im Jahresrückblick wie schon zuvor die Vereinigung auf einer Videokassette grobgeschnitten zusammengefaßt werden, aber nicht weiter vermittelt.
Doch auch ein umkehrender Eingriff birgt Gefahren, weshalb sich Jaar einer verallgemeinernden Bewertung des momentanen Terrors entzieht. Weder setzt er den Kampf der Götter gegen die Unterdrückten mit den Ausschreitungen gegen Ausländer gleich, noch spiegelt er in der Zusammenführung von künstlerischem Mahnmal und historischem Monument deren stillgestelltes Verhältnis als Utopie wider, die ihre Erlösung aus der Geschichte erfahren könne, wie es vielleicht Picasso seinem Bild „Guernica“ unter dem Eindruck des spanischen Bürgerkrieges als Nullpunkt einmal eingeschrieben haben mag. Was bleibt, ist die Rhetorik der kolossalen Architektur, auf die Jaar mit den schwerlastenden Namen des politischen Alltags antwortet. Denn die Gewalt spielt sich überall innerhalb derselben Strukturen ab, auf denen auch die gigantomachische Kulturfindung der Griechen beruht hatte. Jaar erweitert diesen Prozeß bis in die Gegenwart. Zwei Schwarzweißphotographien, die der Chilene in die Fensteröffnungen der gegenüber dem Altar liegenden Wand gehängt hat, wiederholen Details der antiken Schlacht, auf einem dritten Bild sind nur ein paar schwarze Springerstiefel zu sehen. Ob Neonazis oder der Bundesgrenzschutz in ihnen stecken, muß der Betrachter selbst entscheiden. Harald Fricke
„Das Pergamon-Projekt“: bis 31.1., im Altarraum des Pergamonmuseums, Am Kupfergraben, tägl.9-17Uhr.
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