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SanssouciVorschlag

■ Verdi prati – Ein Solo von Rodolpho Leoni im Hebbel-Theater

Das ältere Ehepaar neben mir versteht die Welt nicht mehr: Was auch immer sie ins Hebbel-Theater verschlagen haben mag, diesen Sonntag abend hatten sie sich auf alle Fälle anders vorgestellt. Da kauert ein Mann im letzten Winkel der dunklen Bühne, Grablichter neben sich auf der Bank, und folgt der Übertragung eines Marlene-Dietrich-Konzerts. Er postiert einen zweiten Fernseher am vorderen rechten Bühnenrand, aus dem den Zuschauern für den Rest der Aufführung die minutiöse Zerkleinerung eines Suppenhuhns entgegenflimmert. Er verläßt die Bühne, schnappt sich einen Stuhl und harrt fortan der Dinge, die noch kommen mögen.

Die Hände des Ehepaars neben mir schließen sich fest zusammen und werden sich für den Rest des Abends nicht mehr loslassen. Mit einem Mittelplatz geschlagen, der jede heimliche Flucht verhindert, folgen sie wie der Rest des Publikums gemeinsam mit dem kleinen buckligen Männlein auf seinem Stuhl dem Solo des brasilianischen Tänzers Rodolpho Leoni. Der Mann auf dem Stuhl ist Raimund Hoghe. Zehn Jahre war er Dramaturg bei Pina Bausch in Wuppertal und zeigt nun mit „Verdi prati“ (der Titel ist einem Werk Georg Friedrich Händels entlehnt) seine dritte Regiearbeit, uraufgeführt im Herbst vergangenen Jahres in Düsseldorf. Lustvoll tanzt sich Rodolpho Leoni durch die wilde Musik-Collage, die von Händel und Verdi über Johann Strauß bis zu Whoopi Goldberg einen breiten Bilderbogen aufschlägt und im Laufe des Abends die Bühne in einen Zauberkasten verwandelt.

Fernsehgeräten und grüner Wiese, einer opulenten Obstschale und einer aufziehbaren Kunststoffpuppe, die in einem Aquarium pendelt, werden durch den Tänzer Geschichten eingehaucht. Fein säuberlich legt er Hose und Unterhose sowie Hemd, Jacke und Schuhe auf den Bühnenboden und veranstaltet mit seinen Utensilien einen Striptease, in dem das Öffnen eines Schuhs zum erotischen Aha-Erlebnis wird. Den nackten Oberkörper in blaues Licht gehüllt und den Unterkörper durch eine Stellwand verborgen, schiebt er sich in ekstatischen Zuckungen langsam aus der Tiefe der Bühne nach vorne, um im nächsten Moment lapidar und per Fernbedienung eine ariensingende Operndiva einzuschalten.

Voller Humor und voller Irritationen, ist „Verdi prati“ eine Reise durch die Welt der Wahrnehmung, die man sich schon allein wegen des furiosen Schlußtableaus nicht entgehen lassen sollte. Michaela Schlagenwerth

Heute abend um 20 Uhr zum letzten Mal im Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29, 1/61.

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