Sanssouci: Vorschlag
■ Die "Phrasenmäher" zeigen Neues bei den Wühlmäusen
„Bienvenue, welcome“, begrüßen Frank Lüdecke und Achim Ballert, das zum Duo geschrumpfte Kabarett „Die Phrasenmäher“, ihr Publikum. In ihren „Bildern einer Einstellung“ packen sie erneut den Zeitgeist an seiner paradoxen Wurzel, mixen aus Politik, Wirtschaft und Lebensphilosophien einen anarchischen Cocktail voll subtiler Gemeinheiten und Lust am Absurden. Sie zeigen einmal mehr, daß politisches Kabarett nicht automatisch Verbrüderung mit dem Publikum bedeuten muß, frei von platten Pointen, getreu ihrem selbstgewählten Motto: „Unterhaltung darf auch intelligent sein!“
Eigentlich sind die „Bilder einer Einstellung“ ein kabarettübliches Nummernprogramm. Aber das vergißt man schnell: Frank Lüdecke und Achim Ballert reproduzieren nicht nur ihre eigenen, wirklich ausgezeichneten Texte, sondern schlüpfen beide in Rollen, die sie den ganzen Abend schauspielerisch gekonnt durchhalten. Frank Lüdecke ist Johannes der Fleischer, mit abwaschbarer Schürze und Hackebeilchen. Ursprünglich wollte er Geiger werden, jetzt unterhält er eine kleine Fleischerei irgendwo in Berlin. Gott hält sich von den Menschen fern – „Seit 2.000 Jahren nur 10 Gebote“ –, und die Blasphemiker Kepler und Galilei sind schuld an den steigenden Mieten. Im Berliner „Schargong“ vergleicht er die große Politik mit den Methoden der Hütchenspieler, denn „fast überall ist nichts darunter“, und endet letztlich bei der überraschenden Einsicht: „Je dümmer die Menschen sind, desto mehr wird fotografiert.“
Achim Ballert ist Werner, der vor einigen Jahren drei Wochen lang im Koma lag. Drei Ärzte und neun Elektriker waren mit ihm beschäftigt, organisch ist inzwischen alles wieder in Ordnung. Aber „ich bin kein richtiger Mann mehr. Mir ist die Fähigkeit zum logischen Denken abhanden gekommen.“ Werner ist ein wenig verwirrt. Seit es sechs Mülltonnen für getrennten Müll auf seinem Hof gibt, ist er manchmal damit überfordert, seinen Abfall runterzubringen. Und vielleicht auch schizophren: Beim Lesen seiner Stasi-Akten mußte er feststellen, daß er sich jahrelang selbst ausspioniert hat – und nichts davon wußte.
Regisseur Ulf Peter Hallberg hat dem Ganzen einen überzeugenden Rahmen verpaßt, in Form eines Metallgestänges mit Fliegennetz, das zugleich überdimensionale Glotze und durchsichtiger Paravent ist. Hinter dieser Sichtblende bleibt der gerade Unbeschäftigte weiter dabei und kommentiert das Gezeigte. Der Abend ist durchgestylt und in seinen Pardoxien trotzdem lebendig. Die „Phrasenmäher“ haben ihr eigenes Motto überboten: Ihre Unterhaltung ist intelligent. Anja Poschen
Weitere Vorstellungen: Bis 8.5., Di.-Fr., So. 20.30, Sa 19.30 Uhr in den Räumen der Wühlmäuse, Nürnberger Straße 33
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