Sanssouci: Vorschlag
■ Stadt-Visionen
Der Forschungsschwerpunkt der vorliegenden Studie – „Großstadt im deutschen Film“ – ist so alt wie die Filmgeschichte selbst. Bereits die Brüder Max und Emil Skladanowsky zeigten in ihrem Varieté-Programm die Lebens- und Verkehrsformen in der Metropole Berlin. Eine von der deutschen Romantik inspirierte Kritik am Industrialisierungsprozeß bestimmt am Beginn des 20. Jahrhunderts das Urteil über die Schattenseiten der Stadtentwicklung. Die Menschen erfahren sich zunehmend nur mehr an das Rad der Produktion gekettet.
Die ländliche Vision einer Einheit von Wohnen und Arbeiten hat in der Großstadt zwar ihre Bedeutung verloren, prägt aber weiterhin die Sehnsucht nach einem glücklicheren Leben. Mitte der zwanziger Jahre kommt es zu einem radikalen Umdenken. Arbeiterkolonnen marschieren in Fritz Langs „Metropolis“ (1927) mit gesenkten Häuptern ihren Wohnsilos entgegen. Und in Georg Wilhelm Pabsts „Die Geheimnisse einer Seele“ (1925) oder in Karl Grunes „Die Straße“ (1923) wird die Stadt zu einem Ort der Angst, der Bedrohung und emotionalen Verstrickung. Die Einsamkeit der Straßen und Plätze wirft die Menschen auf sich selbst zurück. Das reibungslose Zusammenspiel der Kräfte, das Walter Ruttmann in seiner „Sinfonie der Großstadt“ (1927) beschwört, deckt sich nicht mehr mit dem Schicksal von Hunderttausenden Arbeitslosen. Die Stadt wird zum Verhängnis und die Städterin – wie in Murnaus „Sunrise“ (1927) – zum Vamp. Gegen dieses Stadt-Bild setzen die Nationalsozialisten ihre Idyllisierung, die erzwungene Versöhnung von Provinz und Reichshauptstadt. Berlin sollte „deutsch“ und „Heimat“ werden.
Die Suche nach der verlorenen Stadt, nach dem Zentrum und den Schauplätzen der Geschichte, zieht sich durch den gesamten Nachkriegsfilm – bis hin zu Wim Wenders „Der Himmel über Berlin“ (1987). Die Stadt wird zu einem Katalysator von Vereinzelung, Desorientierung, Ich-Spaltung und Verzweiflung. Das „Prinzip Stadt“; das Alexander Kluge in „Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“ formuliert hat, beschreibt eine neue Wahrnehmungs- und Empfindungsstruktur: „Einer der schärfsten Ausdrucksformen der Endgültigkeit ist der umbaute Raum. Bei einer Grabkammer merkt das jeder. (...) Tatsächlich spricht vieles dafür, daß die Städte, so umbaut, wie sie jetzt sind, die Wohnstätten sein werden, mit denen wir ins 21. Jahrhundert gehen. (...) Mich fesselt dabei besonders die sog. ,Unsichtbare Stadt‘, die in unseren Nerven, Gefühlen, Kenntnissen steckt.“ Klaus Dermutz
Hanno Möbius/Guntram Vogt, Drehort Stadt, Das Thema „Großstadt im deutschen Film“, Aufblende, Schriften zum Film, Hitzeroth, 185 S., 1990.
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