Sanssouci: Vorschlag
■ „Prinz in Hölleland“ – Ein Film von Michael Stock
Kreuzberg als autonome Ansichtskarte: An der freien Meile Kottbusser Tor hängen Türken, Junkies und Punks einträchtig herum, in der avantgarde-plüschigen Schwulenbar hocken Alternativtransen neben Heteropärchen, eine Sängerinnen-Schlampe trällert im Hintergrund ein abgefucktes Lied. Die Aussteiger wohnen in der Wagenburg, wo des Nachts die Trommelsession abgeht, und zur nächsten Demo gegen sämtliche Ismen ist es nicht weit. Doch der selbstverwirklichungsselige Frontstadtmythos ist in Michael Stocks „Prinz in Hölleland“ nur noch Schale, das politisch korrekte Idyll verkümmert, Lebensgier und Ausbruchstraum sind zu hohlem Anspruchsgelaber geworden. Man marschiert nicht mehr mit der Demo, sondern durch sie hindurch. Jockel (Michael Stock) klebt mit Stefan (Stefan Laarmann) Anti-Drogen-Plakate, obwohl er selbst an der Nadel hängt. Die schwulen Freunde leben zusammen in Bauwagen, ihre Beziehung kracht gerade auseinander. Stefan ist eifersüchtig auf Jockels sexuelle Eskapaden und kommt gegen dessen Sucht nicht an. Der hingegen behauptet, alles im Griff zu haben, was schon längst nicht mehr stimmt. Zwischen ihnen steht Micha (Andreas Stadler), der mit beiden eine Bettbeziehung hat. Nebenher laufen bei ihm noch Freundin und Kind. Mit seiner auf Biegen und Brechen konservierten kindlichen Naivität geht er jeder Verantwortung aus dem Weg. Er wird den Mittler spielen beim tödlichen Kontakt mit einem Heroindealer (Fassbinder- Altstar Harry Baer). Umrahmt und verdoppelt wird diese ohne Sozialarbeitergedusel erzählte Geschichte von einem Märchen. Ein halbnackter Eulenspiegel ist das omnipräsente Bindeglied. Er führt den Junkies am Kottbusser Tor ein Puppenspiel vor. Es handelt von der Liebe zwischen Prinz und Müllersbursch, die durch einen bösen Zauberer gestört wird. Mit einem weißen Pulver zieht er den edlen Gesellen in seinen Bann.
Stock erzählt mit dem Holzhammer. Die krud-poetische Spielmannsallegorie ist genauso dick aufgetragen wie die Versatzstücke aus dem Kiezleben. Es fehlt weder die Schlägerei mit Neonazis noch der bornierte Jung-Ossi mit naiv braunem Gedankengut. Die schwule Dreieckskiste ist kombiniert mit ein bißchen Dealerkrimi und ausführlicher Schwanzbeschau. Doch die derben Zutaten passen zusammen. Die Ansammlung überhöhter Klischees verdichtet die Realität, die Stock darstellen will. Seine Welt ist arschkalt und brutal, Gefühle können nur noch durch hohle Moralpredigten ausgedrückt werden. Die Leere wird mit Sex und Junk zugekleistert, die Menschen bleiben dabei allesamt auf der Strecke. Stock macht aus seinem moralischen Anliegen kein Hehl. Aber er verpackt es so spannend, daß man ihm bis zum Schluß folgt. Sein Handwerk hat der 25jährige als Assistent von Rosa von Praunheim gelernt. Was er von ihm abschaute, ist die genaue, immer ganz nah an den Gesichtern bleibende Kameraführung. An Praunheims schrill überzeichnenden Stil lehnt er sich überhaupt nicht an. Trotz der debüt-typischen sammelwütigen Geschichte hat der Film eine erstaunlich eigenständige Sprache, die nie in Manierismen abgleitet. Die hingerotzten Dialoge, der mitleidslos dokumentarische Kamerablick erinnern manchmal an Gregg Arakis „The Living End“. Aids kommt bei Stock allerdings nicht mal als Stichwort vor. Bei all dem knallharten Elend ist die Todesdrohung sowieso ständig präsent.
Das Happy-End überläßt Stock seinem Märchen. In seiner Wirklichkeit bleibt nicht mal der Erzähler am Leben. Einen Haufen Scheiße hinterläßt er, wenn er tot am Galgen baumelt – so hat wenigstens der Hund sein Fressen. Gerd Hartmann
„Prinz in Hölleland“: Moviemento 1, Xenon, Babylon (Mitte)
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