Sanssouci: Vorschlag
■ King George und Oliver Sacks im Podewil
„Eight Songs for a Mad King“Fotos: David Baltzer/Sequenz
Musikalisch schwimmen die britischen Komponisten Peter Maxwell Davies und Michael Nyman nicht gerade auf einer Wellenlänge: ersterer arbeitet mit opulenten, vordergründig wirren, expressionistischen Klängen, während Nyman, der sich mit der Musik zu Peter Greenaways Filmen internationale Beachtung verschaffte, seine Töne auf ein Minimum zu beschränken sucht. Die Berliner Gesellschaft für Neue Musik hat sich gemeinsam mit dem dänischen Storstroms Kammerensemble einen Abend mit zwei Kurzopern der beiden Briten erarbeitet, die sie fünf Tage lang im Podewil vorstellen.
Thematisch ist es ein ungewöhnlicher Opernabend: Beide Werke entführen den Hörer auf eine Entdeckungsfahrt in die menschliche Psyche. Bei „Eight Songs for a Mad King“ ist es King George III. – jener britische Regent, der nach 52jähriger Regierungszeit aufgrund einer Fehldiagnose im Wahnsinn verstarb –, den Davies in acht musikalischen Sätzen von seiner psychotischen Wahrnehmung berichten läßt. „I am nervous. I am not ill, but I am nervous“ soll George zu seiner Vertrauten gesagt haben; und so singt er auch bei Davies. In der Inszenierung von Frauke Kuhfuß spielt der Australier Lyndon Terracini den traurigen König, läßt ihn Reden an sein Volk halten und von seinem Land und seinen Träumen berichten. Musikalisch hält das Werk, was es verspricht: Pauke, Flöte oder Didgeridoo kämpfen mit dem König einen einsamen Kampf, Terracini bricht beständig vom sonoren Bariton in schrillstes Falsett. Doch was auf der Bühne zu sehen ist, karikiert höchstens den gefolterten Geist. Mit langer Mähne und baumelnden Armen läßt Kuhfuß ihren Sänger einen nackten Baumstamm umkreisen wie einst Robinson Crusoe seine erste Kokospalme. Und wo jener sich selbst zum Gouverneur ernannte, um die innere Ordnung aufrecht zu erhalten, setzt sich Terracini beizeiten ein lächerliches Pappkrönchen aufs Haupt. Aus dem königlichen Hemd wuchern lange Zwangsärmel – das Äußerliche macht die Psychologie.
„The Man who Mistook his Wife for a Hat“
Auch im zweiten Teil gewinnt der Effekt. Michael Nymans „The Man Who Mistook his Wife for a Hat“ basiert auf einer der psychologischen Fallstudien von Oliver Sacks. Anders als Brooks „L'homme qui“, das in 13 Szenen die Bandbreite der Phänomene beleuchten will, konzentriert sich Nyman auf den Fall eines einzigen Patienten, der nur durch die Musik Gegenstände und Personen zu erkennen und differenzieren vermag. Zitathaft verwendet er den romantischen Schumann als innere Stimme des Patienten, mit der dieser sein „Defizit“ ersetzen kann.
Mit sachlichem Realismus versucht die Inszenierung von Christina Tappe diesem Musikstück beizukommen, in dem Begriffe wie „Kortex“, „Neuronen“ oder „Synapsen“ gesungen werden müssen. Der Doktor klopft mit kleinen Hämmerchen auf das Knie seines Patienten ein, während sein Patient am heimischen Frühstückstisch brav Knäckebrot aufeinanderstapelt, um zu zeigen, daß bei ihm ein paar Krümel locker sind. Nichts von Oliver Sacks' grandioser Reise in das unerforschteste und spannendste Organ im menschlichen Körper, nichts von Faszination über das Anderssein. Ein derart trockenes Libretto schreit geradezu nach einer fantasievollen, absurd umgesetzten Bearbeitung und nicht nach Vorlesungen mit Diaprojektionen und professuraler Zeigefingermanier. Einzig, als der Patient mit dem Doktor Schach spielt, springt der Funke über: Zügig hüpft der Patient auf einem überdimensionalen Schachspiel auf den Arzt zu, der sich sichtlich bedroht fühlt, denn „Was sollten wir von einem Mann halten, der so seltsam unfähig ist, eine Rose als Rose zu erkennen, und doch Meister im Gehirnschach ist?“ Wenig wurde – neben der Musik – für diese Szene gebraucht; um so eindrucksvoller und effektiver ihre sinnliche Wirkung. Anja Poschen
Noch bis 4. September, jeweils 20 Uhr, im Podewil.
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