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SanssouciNachschlag

■ Schluß mit dem Theater um Kresniks Theater

Nachdem sich die Stadt Rostock mit brennenden Asylbewerberheimen in die Geschichte des wiedervereinigten Deutschland eingeschrieben hatte, schenkte Kresnik dem finanzschwachen Theater der Stadt sein Tanztheaterstück „Familiendialog“. Zehn Tage vor der Premiere reiste er selber an und übernahm – ohne Gage – den Endspurt der Neueinstudierung.

„Familiendialog“ (Uraufführung 1980 in Heidelberg) ist Kresniks frühe Warnung vor einem neu aufkommenden Rechtsradikalismus. Nicht die kategorische Verurteilung des Familienvaters mit Nazivergangenheit führt Kresnik vor, sondern die Folgen der Geschichtsverdrängung: Opfer ist die nächste Generation. Der Sohn, der an den Lügen erstickt, die ihn in den Wahnsinn und schließlich in den Selbstmord treiben. In Rostock löste die Aufführung heftige Diskussionen aus, in der überregionalen Presse wurde sie ignoriert. Welcher Künstler mit dem „Marktwert“ eines Hans Kresnik verschenkt schon – insofern er sich nicht eine erhebliche Prestigesteigerung verspricht – seine kreativen Potentiale? Solch angewandter Antifaschismus scheint den Berliner Kommunalpolitikern offenbar befremdlich. Eine aus dem Kontext eines Interviews mit Kresnik gezerrte B.Z.- Überschrift „Ich würde auch Häuser anzünden“ dient nun als läppischer Vorwand, mit dem versucht wird, die nach der Schiller-Theater-Schließung vom Senat beschlossene Verpflichtung Kresniks an die Volksbühne zu verhindern: Kresnik hätte rechtsradikale Tendenzen gezeigt. Erheben kann diesen fadenscheinigen Vorwurf nur, wer nie eine Kresnik-Inszenierung gesehen hat.

Auch die von Kresnik in dem Interview gewagte Offenbarung, er würde die PDS wählen (wenn er nur dürfte – darf er aber nicht: er ist Österreicher), wird ihm die Herzen der kulturpolitischen Hinterbänkler nicht unbedingt geöffnet haben. Daraus den wagemutigen Kurzschluß zu ziehen, er würde die DDR verherrlichen, ist allerdings entlavend absurd. In Kresniks Stück „Wendewut“ (Uraufführung Januar 1993) ist die DDR ein Unrechtsstaat, eine Welt mit doppeltem Boden. Geschmeidig und freundlich sind die Stasi-Männer, doch statt eines menschlichen Gesichts tragen sie Wolfsköpfe auf den Schultern. Daß in seinem Stück das Leben einer Mitläuferin zur Krankengeschichte mutiert, mag Kresnik allerdings nicht nur ihrer DDR-Vergangenheit anlasten – schuldig ist auch das Gesellschaftsgefüge der BRD. Eine Welt, in der die Zweckrationalität triumphiert und sich das Leben auf Funktion und Konsum reduziert.

Weniger schwachsinnig als der Faschismus- oder, je nach Geschmack, der Stalinismusverdacht ist der Vorwurf, Kresniks Theater sei eine gewalttätige Angelegenheit. Martialisch geht es in der Tat zu auf Kresniks Bühne: zersägte Puppenbabys, Wackelpudding auskotzende Tänzer, akustische Hardcore-Attacken. Eine nette Abendunterhaltung für vergnügungssüchtige Kleinbürger ist das nicht. Statt dessen: eine Ästhetik der Gewalt, die der Gesellschaft ihren Zustand bis zur „Kenntlichkeit verzerrt“ (Brecht) zurückspiegelt. In „Ulrike Meinhof“ fragt Kresnik nicht nur nach dem Menschen Ulrike Meinhof – er zeigt die militante Verzweiflung als gesellschaftlich produziert. Wer daraus allerdings den Vorwurf ableitet, Kresnik feiere den Terrorismus, will seine Arbeit wohl gar nicht verstehen. Eine Arbeit über die Unversöhntheit gegenüber der Gewalt, die die Gesellschaft hervorbringt.

Weil er zu „politisch“ sei, mochte man Claus Peymann Anfang der achtziger Jahre die Intendanz des Schiller Theaters nicht antragen. In ihrer Frühzeit, als sie noch politisches Theater machte, wurde selbst die Schaubühne von einer provinziellen CDU-Fraktion attackiert. Wäre es nach dem Willen dieser Herren gegangen, gäbe es dieses Theater nicht mehr in Berlin. Was wollen die Politiker: eine kulturelle Wüste, in der die Vorgänge auf der Bühne in Langeweile und Altersgrauheit erstarren? Und was soll die so teuer subventionierte Kunst: das Bestehende beklatschen, den debilen Frohsinn des Fernsehens noch unterbieten? „Kunst als Vitaminspritze für müde Geschäftsleute“ (Adorno)? Oder doch eher: verstören, auf die Unruhe der krisengeschüttelten Gesellschaft reagieren?

Die Verzögerungstaktik der Politiker schadet nicht dem Ansehen der Stadt, sie ist gegen die Interessen der Menschen, die hier leben, gerichtet. Als der Vorverkauf zu dem zweitägigen Gastspiel Pina Bauschs in der Volksbühne – das dann leider ausfallen mußte – eröffnet wurde, war es binnen 90 Minuten ausverkauft. Kresniks Gastspiele waren in diesem und im letzten Jahr Saisonhöhepunkte des Theatertreffens. Für manchen Berliner Ballettdirektoren ist Merce Cunningham immer noch ein elitärer Avantgarde-Künstler. Daß die Kunst des alten Mannes heute möglicherweise einem größeren Publikum zugänglich ist als „Schwanensee“ und „Dornröschen“, hat sich bei seinem dreitägigen Gastspiel im August gezeigt: Ohne großen Werbefeldzug, den sich die arme Tanzwerkstatt nicht leisten kann, war kurz nach Vorverkaufsbeginn kein Platz mehr frei in der Staatsoper mit ihren über tausend Sitzen. Das Bedürfnis nach modernem Tanz ist groß in Berlin. Die Opernhäuser verschließen davor Augen und Ohren. William Forsythe, von der Tanzwerkstatt für diesen Sommer eingeladen, mußte wieder ausgeladen werden: Kein Opernhaus war bereit, ihm seine Bühne zur Verfügung zu stellen. Forsythe, Pina Bausch und eben Hans Kresnik: Sie gehören zu den Tanzexportartikeln und polieren im Ausland das Bild der ungeliebten Deutschen auf – in Berlin will man sie nicht haben. Eine kunstfeindliche Haltung, die sich im Theater, das jetzt um Kresnik veranstaltet wird, bestätigt. Fatal wäre es, wenn sich die Provinzlinge durchsetzen können.

Die Strategie der Verzögerung, die zur Zeit gefahren wird, ist unzumutbar, nicht nur für Kresnik, sein Ensemble und die Volksbühne. Geschädigt werden auch das Theater Bremen und Kresniks Bremer Nachfolgerin in spe, Susanne Linke. Susanne Linke, die an den großen Häusern in aller Welt choreographiert und sich und ihre freie Gruppe zum Teil durch Auslandsgastspiele finanziert, kann in dieser Situation keine Verträge unterschreiben. Es ist höchste Zeit, die Posse zu beenden. Michaela Schlagenwerth

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