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SanssouciVorschlag

■ Kurzfilme aus Prag

1945 als vierte Filmhochschule Europas gegründet, brachte die Film- und Fernsehfakultät an der Prager Kunstakademie aus ihren ersten Jahrgängen zwei Stars hervor: Milos Forman und Milan Kundera. Auch die, deren berühmte Namen nun als „pädagogische Leitung“ Filme der Prager StudentInnen im Abspann schmücken, studierten bereits dort: Vera Chytilová, Jiři Menzel, Jaromir Jires, Jaromir Šofr. Die jetzt an der FAMU lehren, machten in den sechziger Jahren die Filme der tschechoslowakischen Neuen Welle, als Gegengift zum „sozialistischen Spielfilmschaffen“. Auch die FAMU blühte in dieser liberalen, dem Experiment offenen Zeit. Nach dem Ende des Prager Frühlings wurde die innovative Energie an der FAMU politisch gebremst. Mit einem reformierten Lehrprogramm will die FAMU nach dem Umbruch von 1989 an ihre Blütezeit anknüpfen. Wie ihr das gelingt, ist an einer Auswahl neuerer Produktionen zu begutachten, mit der sich die FAMU im Tschechischen Zentrum vorstellt.

An Experimentierwut leiden diese jungen FilmemacherInnen nach all den Bilderverboten überraschenderweise nicht. Behutsam inszeniert erzählt „Hattrick“ aus dem sicheren Rahmen eines Überlebenden vom menschlichen Unvermögen, das Deportationsschicksal eines jüdischen Jungen in der deutsch besetzten Tschechoslowakei aufzuhalten. Dieser Kurzspielfilm von David Sis deutet als einziger dieses Programmes an, daß sich der tschechische Film nicht nur im Wald und in geschlossenen privaten Räumen abspielen muß. Die Wahl dieser Drehorte ist sicher auch durch überall beklagenswerte Produktionsbedingungen begründet. Trotzdem bleibt das Gefühl, daß es in dieser bösen Welt etwas geben könnte, mit dem sich diese jungen FilmemacherInnen nicht unbedingt einlassen wollen.

Zumindest Irritation über einen solchen Konflikt zeigt sich im formalen Durcheinander von Tereza Kopáčovas Porträt „Carmen“. Die 19jährige, bis dahin brave Diva, begann während der Dreharbeiten, ihre Opernrolle ins Privatleben umzusetzen. Sie trennte sich schnöde von Sangesfreund, Provinz und Besitzansprüchen der Gesangslehrerin. In „Etwas über Carmen“ ist sogar zu erfahren, was diesem Abschied folgte. Ansonsten gibt es viel Trennung, Abschied und Sterben, selbst den Tod als Happy-End („In der Stille des Zimmers“), aber was nach dem Aufatmen kommt, ist ungewiß.

Sollte das mit einer für Umbruchzeiten typischen Melancholie zusammenhängen, daß sich alles ändern, aber gleichzeitig so bleiben soll, wie es ist? Die Versuchung ist da, aber der Herrensalon darf kein Damensalon werden, antwortet mit aller zur Verfügung stehenden Absurdität „Aus familiären Gründen geschlossen“ von Saša Gedeon. Der frische Wind eines zweiten Prager Filmfrühlings weht aber in „Der Dachs hegt Zweifel“ von Jasmina Bralič. Eine lockere, mit Sicherheit für Details und Emotionalität von Kamerabewegung inszenierte Hexengeschichte aus der Sicht des Mädchens, das immer nicht mitspielen darf, aber schließlich die wahre, vom Tod erlösende Hexe ist. Christine Daum

19 und 21 Uhr im Tschechischen Zentrum, Leipziger Straße 60

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