piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ "Straßenbild" - eine Montage alter und neuer Straßennamen

In der Ödnis zwischen dem Brandenburger Tor und der Baustelle Potsdamer Platz liegt die Akademie der Künste Ost. Ein Nicht-Ort am ehemaligen Todesstreifen mit dem verkommenen Bau der Preußischen Akademie, an der Kreuzung der Geschichte, wenige Meter vom Hitlerbunker, von der Treuhandanstalt, vom Reichstag und Sony-Benz, vom Kulturforum und der Wagenburg der britischen MIG-Schweißkünstler entfernt. Ein Ort, außerhalb von Zeit und Raum, weder das Fleisch der Gegenwart noch der vergiftete Fisch der Vergangenheit.

Vincent Trasov, ein Berliner aus Vancouver, ein Fremder also, installiert in diesem historisch hochgeladenen Raum sein „Straßenbild“. Etwa 50 Straßen, Plätze und U-Bahn-Stationen in Berlin (Ost) wurden bisher umbenannt. Einige Namen wurden wieder gegen ihre Vorgänger ausgetauscht, einige neu erfunden. Trasov, der sich als Maler und Performer versteht, mischt auf den Wänden des Ausstellungsraumes die alten, neuen und uralten Namen in ein historisches und psychoanalytisches Puzzle „nur für Deutsche“, das aber eigene zeitgenössische Auflagen im ganzen (p)ost(totalitären) Europa und auch in jeder neuen Epoche kennt (Germania/Berlin, Petrograd/Leningrad/St. Petersburg, Chemnitz/Karl-Marx-Stadt/Chemnitz usw.).

Darüber werden Dissertationen geschrieben (z.B. in Israel über die deutschen, in Berlin über die bulgarischen Straßennamen und ihre Änderungen), parlamentarische Debatten geführt (wie im Preußischen Landtag über seine Anschrift; die Auseinandersetzung wurde auf salomonische Weise beendet, indem man dem Landtag eine exklusive Postleitzahl vergeben hat und damit auf weitere Anschrift verzichten kann), im Podewil wird diesem Thema heute ein „Deutscher Dienstag“ gewidmet. Eine intellektuelle und historische Auseinandersetzung ist das eine, ein Kunstwerk, das in der konzeptualistischen, jedoch stark ironisierten Manier mit malerischen Mitteln wirkt, das andere. Vincents eigene Technik, auf mit Kupfersulfat und Wärme behandeltem Papier zu malen, bringt eine zusätzliche, verfremdende Zeitdistanz.

Trasov hinterfragt den ideologischen und historischen Umbruch, jedoch ist sein Werk auch eine philosophische Skizze zur Universalienfrage, ob die Namen bloß Aufschriften sind oder selbst Tatsachen, ob sie Wirklichkeit reflektieren oder selbst Wirklichkeit schaffen. Die Antwort bleibt offen, und der Künstler möchte uns auch nichts vorgeben, er mischt die alten und neuen Namen in seinem riesigen Bild nach einem nur ihm bekannten Prinzip, wie ein Fremder eben, der nach hiesigen Werten nicht urteilt. Piotr Olszówka

Vincent Trasov „Straßenbild“. 26. bis 28. 11. 10 bis 18 Uhr, Akademie der Künste Ost, Galerie am Pariser Platz 4, Mitte.

Heute abend um 20 Uhr findet die Debatte „Sackgassen – Wendestraßen. Straßen, Plätze, Monumente in der Abwicklung“ statt. Kulturpolitiker, Schriftsteller und Betroffene sind dazu eingeladen. Podewil, Klosterstraße 68–70, Mitte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen