piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ Gayle Tufts in town

Meterlanges Zelluloid hängt von der Decke und spielt die Rolle des Bühnenvorhangs. Davor ein Klappstuhl, ein Piano, mehr nicht. Gayle Tufts braucht den verbleibenden Raum, nutzt im Verlauf des Abends jede Ecke – „Don't try to stop me“. Vor der Pause wirbelt sie im weiträumigen, grünen Satingewand über die Bretter; danach schiebt sie sich im Rokoko-Rüschen-Rosen- Kleid über Ballen von rotem Samt. Kaum ein Requisit stört den Aktionsradius der singenden Entertainerin mit dem leicht brüchigen Timbre, was sie mag und braucht – Zeitungen und Züge, Regisseure und Rendezvous – erzählt sie en passant, zwischen zwei Songs, am Rande ihrer Liebesgeschichte mit Wim.

Mit großzügigen Gesten und einer Überdosis Showtalent berichtet sie in „Denglish“ von ihrer imaginären Beziehung zu Wenders und macht ihn dabei zu einer verschwindenden Größe, zu einer blassen Randfigur. „I was Wim Wenders' Love Slave“ ist nur der Rahmen für Gayle Tufts phonstarke Plaudereien, für ihre schonungslosen Einsichten und Ausdrucksweisen: „Never fuck a film manager, besonders, wenn he is more bekannt than you.“ Seit die Sängerin und Performerin 1990 nach Berlin kam, hat sie akribisch ihre europäische Umgebung beobachtet und in Worte gefaßt. Doch über dem gesamten Programm liegt ein stilles Heimweh nach New York und Boston, das auch vom Lachen im Saal nicht verdrängt werden kann.

Songs von Cole Porter oder Kurt Weill sind unter die eigenen Chansons (Komposition: Michael Rodach) verteilt, am beeindruckendsten aber ist die Interpretation von „Bittersweet“. Selbst die extreme Kunstpose, die sie beim Singen dieses Roxy- Music-Klassikers einnimmt, ist voller Gefühl und lichttechnisch genial begleitet von Martin Hauk. Der dritte Mann, Otto Schönthaler – am Piano und zuständig für die Arrangements –, ist zurückhaltend, aber präsent und brilliert zudem mit Refraingesängen und zweiter Stimme, die ob ihrer Höhe Zwanziger-Jahre- Flair verströmen. „The Big Girl with a Big Voice“, wie sich Tufts selbst in einem alten Lied nennt, hat zwar eine typische US-amerikanische Songstimme à la Joni Mitchell, die Songs, die diesen formalen Rahmen sprengen, zeigen aber weit mehr von dem, was sie ist und kann: Eine vorlaute Diseuse und sentimentale Chanteuse, mit großem Herz und einer überbordenden Ironie, die die üblichen Geschlechterrollenspiele hinter sich gelassen hat und die Männerwelt trotzdem liebt. Anna-Bianca Krause

Foto: Udo Hesse

„I was Wim Wenders' Love Slave“, bis 16.1., 20.30 Uhr, Freunde der Italienischen Oper, Fidicinstraße 40, Kreuzberg, und vom 17.–27.2., Do.–So., 20 Uhr, BKA-Zelt, Tiergarten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen