Sanssouci: Vorschlag
■ „Heya. Das Zimmer“ von Sion Sono im fsk-Kino
Eine verlassene Hafenanlage am Meer. Ein grobschlächtiger Mann im Trenchcoat schlurft einher und plumpst müde auf die einzige Bank. Der Mann ist ein Mörder, und neunzig Filmminuten lang wird er Ausschau nach einem Zimmer halten. Ein Zimmer für sich allein, „mit einem Fenster, das den Blick in die Ferne schweifen läßt... Ein Zimmer, in das sich Frühlingswinde verlieren, grelles Sonnenlicht am Mittag flutet und das erfüllt ist vom Duft von Blumen.“ Ein Mörder mit Hang zum Lyrischen also. Und unendliche Stille soll herrschen, damit sich dort selbst eine Mörderseele getröstet und geborgen fühlen kann.
Sie machen sich zu zweit auf den Weg: der lädierte Grobschlächtige und die junge, unbewegte Immobilienhändlerin. Standbild um Standbild – denn dies ist ein sehr, sehr, sehr langsamer Film – durchqueren sie ein verwohntes Tokio. Die Beweglichkeit, die den Bildern fehlt, wird durch eine eilige äußere Welt und deren Geräusche ergänzt. Die Stadt trommelt und klingelt, und Schiffe ziehen hastig am Horizont vorbei. Absätze klacken auf dem Pflaster, Motoren brummen, und welkes Laub wirbelt in die aberwitzige Ruhe der Protagonisten. Langsam setzen sich die Standbilder gegeneinander ab – zu besichtigen ist ein Grau, das sich heller und heller tönt. Nennen wir es Reduktion auf einen geheimnisvollen Kern, den man erkennen will und doch so schnell nicht kann. Die Wohnungssuche als Anti-Action-Drama wird unerträglich spannend.
Die Farbe Grau ist wie das begehrte Zimmer „ein Ort grenzenloser Ruhe“, ohne wirklichen Stillstand zu bedeuten. Die grell vorbeizuckende Außenwelt kontrastiert mit den Hauptfiguren: Der Mörder und die Immobilienhändlerin, sie sehen sich kaum an auf ihren endlosen U-Bahn-Fahrten durch die Stadt. Sie versenden selbstbezogene, aber doch an den anderen adressierte Botschaften über Räume. Eine klaustrophobische Reise vollzieht sich, eine Reise von Schachtel zu Schachtel, Wohnung zu Wohnung, Mensch zu Mensch – alles hermetisch abgeschlossene Mikrokosmen. Das Erkennungsmoment, als der Mörder sich endlich für ein Zimmer entscheidet, gerät zum Flash. „Es ist perfekt!“ Nicht nur dieses letzte Zimmer, auch der Film ist es. Perfekt wozu, wird hier nicht verraten. Jedenfalls endet alles ganz anders, als Sie vielleicht vermuten. Anke Westphal
„Heya. Das Zimmer“, Japan 1993, Regie: Sion Sono, 92 Min., OmU. Heute bis 2.2., 20 Uhr, fsk, Wiener Straße 20, Kreuzberg.
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