Sanssouci: Vorschlag
■ Tindersticks und Hugo Race & The True Spirits im Loft
Plötzlich und unerwartet taucht diese Band auf den Popbühnen dieser Welt auf. Notorisch, penetrant und kaum noch wegzudenken, küßt sie uns wach aus einem hundert Jahre dauernden Tiefschlaf, bohrt sich gemächlich in Ohrmuscheln und nachfolgende Tuben. Die englischen Tindersticks machen eine Musik, die wie ein Soundtrack aus einem vergangenen Jahrhundert wirkt – Fin de siècle heißt das Schlagwort gar nicht so falsch –, gedenken dabei selig der Herren Wilde und Beerbohm und wissen nur zu gut, daß es eine literarische Figur namens Des Esseintes gibt, die sich zurückzieht, um nur noch sich selbst und die unmittelbarste Umgebung zu stilisieren und zu zelebrieren. Das tun nämlich auch die Tindersticks und haben ihr Debütalbum gleich mit einundzwanzig Songs vollgestopft, mit prächtigen Liedern über prächtige Themen wie „Raindrops“, „Whiskey & Water“ oder „City Sickness“. Ihren Himmel haben sie dabei vollgehängt mit lauter Oboen, Violinen, Geigen und Pianos. Klar, ab und an monologisiert auch mal ein Baß oder beginnt ein Stück mit einem Feedbackgejaule, aber letztendlich macht die Klassik die (Pop-)Musik, in etwa als kultivierte stark verfeinerte Variante der manisch-magischen Gallon Drunk.
Kontraste, Kontraste. Hugo Race ist neben Nick Cave und Louis Tillett ein weiterer ansehnlicher Australier, der vom Weltschmerz gebeutelt war und mit den Jahren doch ein Quentchen Mut faßte. Hugo sublimiert seine grottentiefe Melancholie in diabolisch schwerblütigen Songs, die sich zwar dem Blues verpflichtet fühlen, auf dem zweiten Race-Album „Second Relevator“ aber eher wie halluzinatorischer Country klingen. Da taumeln Banjo, Mundharmonika, Klavier und Gitarren hübsch undergroundig, als würde es nicht so recht mit dem ordentlichen Landleben klappen. Hugo wollte ja eigentlich mal Schriftsteller werden, verdiente sich seine Meriten dann aber lieber als Gitarrist bei den Bad Seeds und behauptete mal: „Ich bin fast immer im Delirium.“ Wie das gehen soll, halb im Delirium zu sein, können wir uns schwer vorstellen, es aber vielleicht beim Konzert herausfinden. Hugo ist inzwischen mehr als ein Geheimtip: ein nobler Traum in Blues, schnell, aufregend, gefährlich, eher roh und grob als feingesponnen. Musikalische Rebellion, die trotz aller Düsternis zu aggressiv strukturiert ist, als daß man in Depressionen verfiele. Gerrit Bartels/Anke Westphal
Heute, 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg.
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