piwik no script img

SanssouciNachschlag

■ Feministische Theorie im Haus der Kulturen der Welt

Entsprechend der Praxis des Orlanda Frauenverlages, feministische Diskussionen aktiv voranzutreiben, wurde zu dessen 20jährigem Jubiläum am Donnerstag eine Plattform für den Austausch zwischen den Frauenbewegungen verschiedener Länder geschaffen. Zur Frage „Was bringen wir der Zukunft? Neue Gemeinschaften oder Individualisierung“, moderiert von Birgit Rommelspacher, diskutierten vier aktive Feministinnen unterschiedlicher Herkunft ihr Selbstverständnis und Ansätze zur Veränderung. Deutlich wurde dabei, daß das „Wie“ des weißen europäischen Feminismus nicht mehr selbstverständlich ist, ein Zeichen für die Verschiebung in der feministischen Theorie.

So sprach Prof.Dr. Sirin Tekeli aus Istanbul vom Ziel der Individualisierung der Frauen – als Kritik an der Ideologie der ihnen zugewiesenen Selbstlosigkeit in einer bäuerlich strukturierten, muslimisch-patriarchalischen Gesellschaft. Zugleich setzte sie auf die Entwicklung von Frauennetzwerken. Aus einer ähnlichen Situation im Kampf um Menschen- und Bürgerrechte in der islamischen Welt bezog sich Fatima Mernissi von der Universität in Rabat (Marokko) auf Demokratie als eine Vision von Heterogenität und als exogenes Prinzip innerhalb eines Kampfes mit einem islamischen Fundamentalismus, der Demokratie ablehnt. Demgegenüber entwickelte Gloria I. Joseph, schwarze Feministin und Professorin für Sozialwissenschaften aus den USA, die Perspektive der Schwarzen Gemeinschaft aus der Erfahrung des Ausschlusses, der Ausbeutung und existenziellen Bedrohtheit. Hier wurde die Notwendigkeit der Sichtbarmachung der schwarzen Frauen und des eigenen Kampfes angesichts des kulturellen wie ökonomischen Neo-Imperialismus deutlich.

Christina Thürmer-Rohr, Professorin am FB Erziehungswissenschaften der TU, analysierte das Zerbröckeln der üblichen Gemeinschaften auch im Feminismus der westlichen Industriestaaten als eine Kooperations-Chance auf einer glaubwürdigeren Grundlage von Verantwortlichkeiten, die sich aus der Geschichte der eigenen Kultur als Teilhabe an Herrschaftskultur ergeben kann. Gerade das Nicht-Bestehen auf Konsens in der Diskussion der vier Positionen spiegelte die Möglichkeit zur gesellschaftlichen Veränderung, wobei vor einer gemeinsamen Zukunft der abschließende Vorschlag aus dem Publikum ernst zu nehmen wäre: „Wir müssen auch hin und wieder schweigen und zuhören.“ Susanna Hakenjos

Gefeiert wird das Jubiläum heute (Samstag, 9.7.) mit einem Frauenfest um 20 Uhr in der Kulturbrauerei. Eintritt: 12 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen