Sanssouci: Vorschlag
■ Vielleicht der Songwriter der Zukunft: Jeff Buckley im Loft
Die Geschichte beginnt zweimal. 1975 stirbt Tim Buckley, Folksänger und Freistilist in Sachen Jazz, an einer Überdosis Heroin. Er hinterläßt einen achtjährigen Sohn. Mit fünf schon spielte Jeff auf der Gitarre seiner Großmutter – man argwöhnte ein Wunderkind – mit 13 schreibt er die ersten Songs, Fingerübungen in Sachen Introspektion. Jeff liebt Geheimnisse, auch heute noch, und seine Lieder über die innere Geographie des Menschen werden mit der Zeit zwar genauer, bleiben aber immer enigmatisch. „Sensibilität“, so sagt Buckley Junior, „ist nicht nebulös, sondern das schmerzhafte Bewußtsein davon, daß ein Floh, der auf einem Hund landet, wie ein Donnerball ist.“ Solche Bekundungen bezeugen eine gewisse Vorliebe für Pathos, sind aber andererseits nichts weniger als der Versuch der Fragilität, sich im Drama neu und stärker zu inszenieren. Das Erbe des Vaters verschwindet bald hinter anderen Vorlieben – da ist die Mutter Mary Guibert, Cellistin und Pianistin, sind Led Zeppelin, Jack Bruce, Bob Dylan oder auch Leonard Cohen.
Wie gesagt, die Geschichte beginnt zweimal. Mit 17 geht Jeff von zu Hause weg. Er nimmt diverse Studiojobs als Sessionmusiker an, das Geld reicht gerade fürs Essen. 1990 zieht er dann nach New York, in die Lower East Side, wo er endlich so etwas wie eine passende Psychogeographie für sein kompliziertes Ich findet. Dieses unmerkliche Fliehen der Erinnerung, dieses rastlose Belauern der Dämmerung bildet den Blueprint für die Songs von Jeff Buckley, der für die Popwelt zwar immer noch „der Sohn von Tim Buckley“ ist, aber nicht länger für eine geglückte Wiedergeburt seines Vaters gehalten werden kann. Er ist mittlerweile einfach zu gut, zu seltsam, vielleicht zu sehr alien.
Rough Trade veröffentlicht „Live At Sin-é“, vier Lieder, aufgenommen im „Sine-E“, einem seiner Lieblingsclubs. Schon ein Jahr später hält man den STAR für geboren, nimmt Sony den unähnlichen Wiedergänger unter Vertrag, spielt er sein Debüt „Grace“ ein. Grace heißt Gnade, und er nimmt es im Bearsville Studio in Woodstock auf; selbst die Wahl dieses Ortes kommt einem selbstverständlich und unschuldig vor. Den Titelsong „Mojo Pin“ schreibt er zusammen mit Gary Lucas, dem Gitarristen von Captain Beefheart. Das sechste Stück, „Hallelujah“, adaptiert er dann tatsächlich von Leonard Cohen, und auch der Geist Robert Plants liegt über dem Album. Diese wie in die Luft geschluderten Riffs, die unzuverlässigen Wechsel, die immer so fälschlich an Einsamkeit erinnernde Trance, und dann der freie Fall der Stimme in die Begleitung, in Baß, Gitarre und Schlagzeug. Freier Fall ins Danach: „I think much more than I want to think, I drink more than I ought to drink.“
So schließen sich die Kreise, schlägt dieser Twen Jeff Buckley, der aussieht wie ein schöner Autist und spielt wie ein griechischer Tragöde, den Bogen zu dem, was möglicherweise einmal eine Zukunft des Songwriting sein könnte. Man sollte ihn sich ansehen, denn es könnte sein, daß danach nichts mehr kommen wird für dieses Jahr. Sagen wir, jedenfalls nicht so etwas wie diese funkelnden, transparenten und bis ins Blut schneidenden Splitter des einstürzenden Himmels. Anke Westphal
Heute, 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz 5, Schöneberg.
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