Sanssouci: Vorschlag
■ Auch wenn die große billiger ist: Kauft die kleine, die kleine!
Einkaufstechnisch gesehen war '94 ein merkwürdiges Jahr. Die Einführung der 0,5-Liter-Flasche Becks in unserem schwarz-gelben Supermarkt warf jahrelange Gewohnheiten um. Als Originalbremer war ich mit der kleinen Pfandflasche großgezogen worden und wetterte dementsprechend verzweifelt gegen die grüne Halbliterflasche. Deren braune Schwester hatte vorher gemeinerweise die Drittelliter Proloflasche verdrängt, die wir als Kinder aus Baustellenschlamm gezogen, gewaschen und für einen Groschen abgegeben hatten. Jetzt sollte also die kleine hübsche Grüne dran glauben. Ohne mich! Ich legte mir Argumente gegen die Großflasche zurecht wie, „ist einfach zu viel drin, Flasche fühlt sich komisch an, lieber zwei kleine als eine große usw.“. Trotzdem bekam man vor fremden Fernsehern immer häufiger die aufgeblasenen Riesenflaschen angeboten. Am nächsten Tag stand die schlanke 0,33er mißmutig im Regal, wollte laut rufen: „Mich gibt's im Sixpack aus Pappe, die fette Kuh neben mir nicht“, bekam vor Aufregung aber kein Wort raus.
Da mir die rationalen Argumente nach und nach ausgingen, versuchte ich es mit einem Preisvergleich. Der Sechserträger mit den kleinen war innerhalb meines rund zehnjährigen Berlinaufenthalts von anfangs noch 3,99 schnell auf 4,99 und dann auf 5,99 gestiegen. Eine 0,33-Liter-Flasche kostet also ziemlich genau knapp eine Mark. Nun hätten die großen also – wer hat schon einen Taschenrechner im Laden dabei – irgendwas über eine Mark kosten müssen. Taten sie zunächst auch. Also ließ ich sie weiter in ihrer häßlichen, weil ein wenig zu hohen 20er-Kiste stehen. Dann aber, völlig unauffällig, kein Sonderangebot war draußen plakatiert, kostete die 0,5-Liter-Flasche 99 Pfennig, als gebe es die anderen gar nicht.
Ja halten die denn den Verbraucher für total doof, dachte ich noch und wollte mich schnurstracks beim Marktleiter in seinem Glaskasten mit der hübschen Aussicht bis zum Fleischtresen beschweren. Dann aber mußte ich an meine letzte Beschwerde denken: Ich hatte den vorigen Chef, inzwischen mit dem Aufbau eines Markts in Hohenschönhausen betraut, erzählt, daß es günstiger sei, zwei 125-Gramm-Packungen Spaghetti zu 99 Pfennig zu kaufen als die 250 Gramm der gleichen Sorte für 2,49. Schon wegen der Verpackungsverordnung solle er doch vielleicht... Er wollte sich die Sache durch den Kopf gehen lassen und mal „ganz oben“ anfragen, ob die Konzernleitung sich nicht vielleicht verrechnet habe. „Vielleicht haben die das auch gar nicht gemerkt“, sagte er noch vieldeutig. Einige Wochen später, die Preise hatten sich zwischendurch nicht verändert, verschwanden alle Spaghetti dieser Marke aus dem Sortiment.
Dieses Risiko wollte ich nicht auch noch bei meinem Bier eingehen. Ich verriet dem Marktleiter also nichts. Allen Freunden aber rate ich bis auf weiteres die großen Flaschen zu kaufen. Allerdings nicht bei Hoffmann – da kostet der halbe Liter Becks mit Pfand 1,35! Was schon zu zahlreichen trostlosen Tucher-Pils-Parties geführt hat. Bis die kleinen endlich billiger werden oder die großen teurer, kaufe ich die großen. Wenn eine nicht ganz leer wird, freue ich mich, denn der Rest hat ja nichts gekostet! Andreas Becker
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