Sanssouci: Nachschlag
■ Don't shoot me...: Udo Jürgens in der Deutschlandhalle
In weiter Ferne ein Licht, eine Silhouette, plötzlich so nah ein Mann, ein Klavier: ich will nur zu dir, näher zu dir.
Es ist doch so: Einen Entertainer hat das Land, einen Pianospieler aus dem Süden. Jener, ein Meister des reinen Sentimentalen, versteht es in seinen Konzerten, die ganz großen Gefühle zu wecken: Heute nacht noch schreibe ich der Liebsten. Und morgen ändere ich die Welt!
Der Fehler liegt im Vergleich. Nicht zu Schlagermarionetten darf der Blick schweifen beim Versuch einer Einordnung. Da mag Udo Jürgen Bockelmann einsam oben und der Beste sein, doch was hat das zu sagen? Auch beim Hinweis auf die Geschichte winken wir ab: Nostalgie. Hier und nun, mit offenen Ohren!
Daß der 60jährige seine alten Lieder abgeschüttelt haben will, ist verständlich, nur hat der Mann, wie das üblich ist, im fortgeschrittenen Stadium eines Arbeitslebens veritable Kreativitätsdefizite – und zitiert also mit sehr mäßigem Erfolg sich selbst. Sing along mit Udo: „Ein Königreich für einen Text und eine Melodie“. Es versteht einer, was man auch verlangen kann, sein Handwerk, tüftelt hörbar an Arrangements, klaut auch prima (bei den Beach Boys), und dann kommt (etwa beim Titelsong der allerletzten: „Café Größenwahn“) ahahahah-einfach die hookline nicht. Ein Sehnen! Ein Warten! Nie kommt sie. Nimmer mehr.
Der Fehler liegt im Vergleich. „Literarisch“, das Wort hat er im Zusammenhang mit jenen Anhäufungen von Worten gebraucht, die seine Melodien begleiten. „Das ist Lyrik im ausgehenden Jahrhundert“, sagt der jugendliche Held, während er seltsam harlekinesk über die Bühne hüpft. Ironie! Doppelte! Genau wie seine Spontaneität vortäuschenden Conférencen. Er tut so, als stottere er! In Wahrheit kann er's kaum anders. Wenige Gedanken verlassen die Grenzen der Provinz, wenige sind zu Ende gebracht, wenige Metaphern nicht abgenutzt, überfrachtet oder schlicht mißglückt.
Und die Moral von den Geschichten? Soll man jubilieren, nur weil einer gemäßigt vorwärtsdenkend Selbstverständlichkeiten von sich gibt? Wenn ja, sind also alle sogenannten Kleinbürger – Faschisten?
Als, von fünf Strahlern angebeamt, ein Mann im weißen Bademantel allein auf einer Bühne in zehn Minuten voller Unlust und sehr unsentimental teils auch prima gelungene Kompositionen totklimperte, eilten große Teile der Kundschaft längst dem Boulevard Bio entgegen. Was sie wissen oder auch nicht: Es gibt tatsächlich nur einen Entertainer, der sich intelligent auf die ganz großen Gefühle versteht. Es ist ein sentimentaler Pianospieler aus dem Süden. Sein Name ist Konstantin Wecker. Peter Unfried
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