Sanssouci: Vorschlag
■ Die Stille wagen: Arvo- Pärt-Konzert zu dessen 60. Geburtstag
Intensität entsteht durch Verzicht Foto: taz
Weniger ist mehr. „Ich habe entdeckt, daß es genügt, wenn ein einziger Ton schön gespielt wird“, sagt der Komponist Arvo Pärt. Zu seinem 60. Geburtstag gibt das Kammerorchester Unter den Linden unter Leitung des Dirigenten Andreas Peer Kähler ein Konzert ausgewählter Werke. Der estnische Wahlberliner komponiert die Stille einerseits und spiegelt sie andererseits in zusammengeballten Klängen. Anspannung und Entspannung werden ständig gebrochen. An diesem Bruch entsteht musikalischer Reichtum. „Fratres“, das Hauptwerk des Konzertabends, ist ein ruhiges, fließendes Stück, in dem einfache, sich wiederholende Tonläufe über einen mono-tonen Klangteppich gelegt werden. „Fratres“ ist eine musikalisches Aufforderung, loszulassen. Es gibt durchaus rein auditive Räume – man muß jedoch bereit sein, sie zu betreten. Auf der Suche danach weist das Cello den Weg. Fastenzeit, Läuterung, Inkarnation und Liturgie verschmelzen zu einem. Um die Musik von Arvo Pärt zu beschreiben, reichen Versatzstücke einer religiösen Sprache nicht aus, obwohl die schon deshalb noch am besten passen, weil der Komponist selbst aus einer tiefen und meditativen Religiosität schöpft und auch die Bibel durchstöbert hat, um Teile daraus zur assoziativen Grundlage seiner Werke zu machen.
Die konsequente Umkehrung des Unhörbaren in Hörbares zu komponieren, ist angesichts der Verbannung der Stille aus unserem Alltag eine Leidenschaft, die der Suche nach Einfachheit – nicht Vereinfachung – entsprungen ist. Die Radikalität eines einzelnen Tones wird bei den Kompositionen von Arvo Pärt gegen den Vielklang – meist Dreiklang – ausgespielt. Beides steht nebeneinander und wird so unvergleichlich stärker. Intensität entsteht durch Verzicht. Die Einfachheit ist keine Schau, kein Trick, um im Sog des stetig Neuen Neues durch eine billige Vermarktung „alter Musik“ zu schaffen. Statt dessen setzt Arvo Pärt darauf, daß das, was gehört wird, von jedem individuell zu seiner eigenen Musik vervollständigt wird. „Ich könnte meine Musik mit weißem Licht vergleichen, das ja alle Farben in sich hat. Nur ein Prisma kann die Farben trennen und sichtbar machen, der Geist der Zuhörenden könnte dieses Prisma sein“, sagt Arvo Pärt. Das ist es: Jeder Mensch hört, was er hört. Waltraud Schwab
Heute 20 Uhr, Kammerorchester Unter den Linden im Kammermusiksaal der Philharmonie, Matthäikirchstraße 1, Tiergarten
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