Sanssouci: Vorschlag
■ Ist es HipHop? Ist es Jazz? Ist es Soul? Nein, es ist Spearhead
Alle drei Jahre wird Michael Franti rastlos. Es juckt und zuckt ihn in den Gliedern, er benimmt sich launisch und blickt verträumt in die Ferne. Der Grund: Er hat Sehnsucht, Sehnsucht nach dem Metropol. Also gründet er eine Band, nimmt ein Album auf und geht auf Tour nach Deutschland, auf daß er das geschätzte Haus am Nollendorfplatz bespielen kann. So war es 1989 mit den Beatnigs, so war es 1992 mit den Disposable Heroes Of Hiphoprisy, so war es 1995 mit Spearhead, Frantis drittem Versuch, Musik auf schlüssige Weise mit politischen Inhalten zu verbinden. In Reihe betrachtet, stellen diese drei Bands eine im Kontext schwarzer Musik völlig untypische Entwicklung dar: Die Beatnigs waren eine Industrial-Krach-Band, wie sie im Buche steht, ein wilder Haufen von Ölfaßtrommlern und Blechklopfern, der seine sperrigen Sounds mit deftigen Parolen würzte und nicht umsonst auf Jello Biafras Alternative-Tentacles-Label veröffentlichte. Auch die Disposable Heroes legten Wert auf krachige Parolen. Franti agitierte, der Vietnamese Rono Tse betätigte das Maschinenarsenal – der Unterschied zu den Beatnigs bestand allein darin, daß die Disposable Heroes HipHop-Beats hatten, wenn auch keine besonders guten.
Da ist nun Joe „The Butcher“ Nicolo vor, trotz seiner italienischen Roots einer der fähigsten und innovativsten HipHop-Produzenten. Er hat Spearhead einen luftigen Hip-Jazz-Sound verpaßt, der perfekt zu Frantis neuer Stoßrichtung paßt. Mit Spearhead will Franti seine Hörer nicht mehr mit der Last seiner politischen Analyse zu Boden pressen, sondern Platz für Gefühle machen. Das ist das Konzept der Soul-Musik in einer Nußschale, und tatsächlich entlockt Franti seiner Kehle seelenvolle Sounds, die man nie darin vermutet hätte. Er singt mit voller Baritonstimme und gleicht seine Raps nicht mehr dem Polit-Shouter Chuck D., sondern dem Soul-Poeten Gil Scott Heron an. Hinzu kommt, daß Spearhead eine Band ist, die ihr Repertoire komplett live spielen kann und die Frantis Jazz-Sensibilität, die er bereits dadurch bewies, daß er den Ausnahme-Gitarristen Charlie Hunter mit auf die Hiphoprisy-Tour nahm, Raum zur freien Entfaltung gibt. Spearhead sind nicht mehr das Schwert der unterdrückten Massen im Kampf gegen die Übel dieser Welt, aber eine Speerspitze für inhaltsschwere schwarze Musik abseits von gängigen Formaten sind sie allemal. Johannes Waechter
Heute, 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz 5, Schöneberg
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