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SanssouciVorschlag

■ Über Atomtests und den offiziellen Zynismus: „Half Time“ im fsk

Als das fsk „Half Time“ ins Programm aufnahm, geschah das mit Blick auf den 50. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima. Jacques Chirac hat dafür gesorgt, daß der Film nun unerwartete Aktualität gewinnt. Am 1. März 1954 zündeten die USA auf dem Bikini-Atoll ihre erste Wasserstoffbombe, sie trug den Namen „Bravo“. „Half Time – Halbwertszeit“ erzählt die Geschichte dieses Tests und seiner Folgen. Im Gegensatz zu früheren Versuchen wurden 1954 die Bewohner der benachbarten Inseln Rongelap, Rongerik und Utirik nicht evakuiert. Der Fallout landete dort in unterschiedlicher Konzentration. Die US-Regierung behauptete, der Wind hätte überraschend gedreht, die Verseuchung der Bewohner und ihres Lebensraums wäre nur ein unglücklicher Zufall gewesen.

Der australische Dokumentarfilmer Dennis O'Rourke rekonstruierte 1985 in „Half Time“ aus Augenzeugenaussagen und Wochenschau-Ausschnitten nicht nur den Ablauf des Versuchs, sondern wies nach, daß die Inselbewohner mit Wissen, Duldung und Planung der US-Regierung dem Fallout ausgesetzt wurden, um sie anschließend als Versuchskaninchen benutzen zu können. So führten Schiffe der US-Marine Messungen durch, während die Kinder noch in dem weißen Fallout spielten, den sie für Schnee hielten. Eine Evakuierung wäre zu diesem Zeitpunkt noch möglich gewesen – geschehen ist nichts. Dafür kommen bis heute regelmäßig Mediziner auf die Inseln, um die Bewohner auf Strahlenschäden zu untersuchen und die Ergebnisse anschließend auszuwerten. Sie bringen ihre eigenen Lebensmittel mit.

O'Rourke vermeidet es, die Geschichte von „Bravo“ als Rührstück zu zeigen. Und er legt mit äußerst einfachen Mitteln den Zynismus der Verantwortlichen offen: Ein nach dem erfolgreichen Wasserstoffbombentest auf dem Weg zur Pressekonferenz zufrieden lächelnder Präsident Eisenhower wird parallel montiert zu Inselbewohnern, die über ihre Krankheiten sprechen. Die Lügen von Offiziellen über die „gesunden und glücklichen Eingeborenen“ werden unterlegt mit historischen Aufnahmen von Verbrennungen, die der Lichtblitz verursachte.

Den Gipfel des Zynismus liefert wie üblich unser alter Freund Ronald Reagan. Während seiner Präsidentschaft wurde Mikronesien in die Unabhängigkeit entlassen. In seiner Abschiedsrede fällt kein Wort über die Zündung von mindestens 66 Atombomben in einem Gebiet, das die Vereinten Nationen den USA in einem Treuhandabkommen übergeben hatten, das sie dazu verpflichtete, „vorrangig die Interessen der Bewohner zu wahren“. Statt dessen dankt Reagan „unseren Freunden in Mikronesien“ für das problemlose Zusammenleben „in unserer Familie“: „Thank you and congratulations!“ Thomas Winkler

„Half Life“. R: Dennis O'Rourke, Australien 1985. Bis 16. 8. tägl. 21.30 Uhr, ab 10. 8. 19.30 Uhr, fsk, Segitzdamm 2, Kreuzberg

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