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SanssouciVorschlag

■ „The Voice of Ariadne“ – Kammeroper von Thea Musgrave

Die Komponistin Thea Musgrave hat den britischen Wortwitz auf die Musik übertragen. In ihren Klarinetten- und Hornkonzerten verlangt sie nicht nur nach musikalischer Bewegung, sondern auch nach physischer. Die Instrumentalisten können und sollen ihre Spielorte während des Konzerts verändern. „Der Dirigent dirigiert die Musiker nicht mehr, sondern sie den Dirigenten“, erläuterte die 1928 in Edinburgh geborene und in den USA lebende Komponistin bei einem Werkstattgespräch in der Kulturbrauerei. Daß sie dabei sämtliche Bedeutungen des englischen Wortes für dirigieren „conduct“: – sich benehmen, führen, leiten und dirigieren – kompositorisch ausgeschlachtet hat, gibt den Konzerten eine konzeptionelle Ebene, die über die Musik hinausgeht. Es ist eine Einladung zur Bosheit, und es soll auch schon vorgekommen sein, daß sich die MusikerInnen vor allen Ausgängen postierten und das Publikum dadurch zum Durchhalten gezwungen haben.

Überraschungen dieser Art hat die Neue Opernbühne Berlin bei „The Voice of Ariadne“ – der 1974 uraufgeführten Oper von Thea Musgrave – bei der jetzigen Neuinszenierung von Alexander Paeffgen nicht eingebaut. Statt dessen wird durch musikalisches und dramaturgisches Können zum Bleiben aufgefordert. Mit einfachsten gestalterischen Mitteln wird aus dem Kesselhaus der Kulturbrauerei ein römischer Garten. Die Andeutung einer Steinmauer oder das Fragment einer zerbrochenen antiken Säule dekorieren ein paar Treppen, die zu verschiedenen Spielebenen führen. Auf ihnen findet das gesungene Drama mit glücklichem Ausgang statt. Die frisch nach Italien verheiratete Gräfin (Judith Kuhn) – eine Amerikanerin und dadurch Vertreterin der „Neuen Welt“ – hat eine antike Nebenbuhlerin: In seinem Garten findet der Graf (Hans Lydman) einen Sockel mit Ariadnes Namen, hört daraufhin auch ihre Stimme und verliebt sich in sie.

Allerlei Ränke lassen die Gräfin glauben, ihre Nebenbuhlerin sei real, bis sie sich selbst auf den Sockel stellt – alt und neu vereinigt – und ihrem Mann den Blick auf die Wirklichkeit wieder ermöglicht. Das Libretto basiert auf einem Text des amerikanischen Schriftstellers Henry James (1843–1916), dessen Lieblingsthema die Begegnung des Amerikaners mit der europäischen Kultur war. Begegnung, Austausch und Kommunikation sind denn auch drei Stichworte, mit denen Musgraves Komposition charakterisiert werden könnte. Zwar singen die DarstellerInnen in einer Art „freier Polyphonien“ gelegentlich gegeneinander an, aber es wird kein Wettstreit daraus. Wenn die Gräfin etwa gegen Ariadnes Stimme ankämpft, mischen sich die Töne von der Bühne mit denen, die von Band und aus den im Raum verteilten Lautsprechern kommen: die Fixierung auf eine frontale Rezeption der Musik wird in Frage gestellt.

Ulrike Andersen und Carl Halvorson Foto: Thomas Aurin

„Ihre Musik ist weder tonal noch atonal und auch nicht seriell, was ist sie dann überhaupt?“ wurde Thea Musgrave im Werkstattgespräch gefragt. „Gefühl“ war ihre Antwort. „Die richtige harmonische Sprache zu finden ist das Schwierigste überhaupt.“ Weder um verkitschtes Bekanntes noch um unkonsumierbares Neues geht es ihr, sondern um die „Wiederentdeckung“ des Alten. „Wenn es sein muß, erfinde ich C-Dur neu“, sagt sie.

Den SängerInnen und MusikerInnen gelingt es trotz gelegentlich allzu großer Gesten, die Leichtigkeit der Komposition nicht zu erschlagen (musikalische Leitung: Sebastian Gottschick). Aus der Not geboren und doch gelungen ist die Distanz zwischen Gestik und Gesang bei der ebenfalls in den Grafen verliebten Marchise Bianchi. Der Gesangspart wird von Annette Küttelbaum vom Orchestergraben aus übernommen, während Claudia Türpe, die an einer Kehlkopfentzündung leidet, die Marchise darstellt. Spätkommende hielten das bei der Premiere für einen gelungenen Kunstgriff. Waltraud Schwab

Heute und Do., 20 Uhr, Neue Opernbühne Berlin in der Kulturbrauerei, Knaack- Ecke Dimitroffstraße, Prenzlauer Berg

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