Sanssouci: Vorschlag
■ "Geteilte Stadt - Doppelte Freude". Eine Performance
Postapokalyptische Gemütlichkeit im Sand Foto: David Baltzer/Sequenz
Am Ende des Tunnels sitzt ein Mann. Mit einem Kissen im Rücken und unzähligen Decken hat er es sich trotz der Kälte in einer Badewanne bequem gemacht. Von hier aus hat er den Überblick, von hier aus kann er mit einem Fernrohr ungestört beobachten. Seltsame Dinge geschehen. Menschem mit verbundenen Augen schlängeln sich durch den Sand. Eine Truppe ist in wichtigem Auftrag unterwegs, hetzt durch die Gänge, während das Publikum im Wege steht oder sich verlegen an den Wänden herumdrückt. Aus allgegenwärtigen Lautsprechern erklingen anfeuernde Parolen und Kommentare. Der ominöse Auftrag drängt. Ein Schalter muß gefunden und betätigt werden, aber was dann passieren wird, wissen wir schon wieder nicht.
Die Gruppe Di'Miro/M.A.R.A.M. hat ein Faible für Sand und tolle Aufführungsorte. Während der erste Teil der apokalyptischen Trilogie „Geteilte Stadt – Doppelte Freude“ in einer Klosterruine spielte und das Publikum in winterliche Kälte auf Koffern ausharrte, ist der Spielort diesmal unterirdisch: der Fußgängertunnel zur Siegessäule, ein sich verzweigender Gang, der restlos mit Sand aufgeschüttet ist. Noch immer leben Menschen nach einer fiktiven Katastrophe im Zustand zwischen Anarchie und Diktatur, aufrechterhalten durch das Prinzip Hoffnung, das sich auf wunderwirkende Schalter oder den Vorstoß in Sektor 3 konzentriert. Das herrschende Chaos dieser Science-fiction-Welt bestimmt die dramaturgische Darstellung: kleine Ereignisse an allen Enden des Tunnels, verirrendes Ineinander von demagogischen Ausrufen, Textfetzen, Musik und Tanz.
Doch der sandige Tunnel hat als Spielort nicht nur Reiz, sondern auch Tücken. So kämpfen die Sängerinnen gegen die schlauchige Akustik, in der die ohnehin einfachen Strukturen der Musik – eine Mischung aus Minimal music und New-age-Sphärengetrommel – breiig verhallen. Und auch die Motive des Untergangs haben sich bereits abgenutzt. Zwar hat die wirre Endzeit-Dramatik auch ihre Faszination, ist aber gegenüber dem ersten Teil der Trilogie schwächer geworden. Das Publikum irrt auf der vergeblichen Suche nach einer Geschichte umher. Die Kinder kehren dem Happening bald den Rücken und bauen, in der Stunde des Untergangs, Burgen in den Sand. Christine Hohmeyer
Bis 18. 2., täglich 20 Uhr, Fußgängertunnel zur Siegessäule, Großer Stern, Tiergarten
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