Sanssouci: Nachschlag
■ Moritz Rinkes Stück „Der graue Engel“ beim Stückemarkt
Männer und Dichter haben gelegentlich ein Problem mit Mythen, besonders wenn diese Marlene heißen, mit einem Hauch von Rätsel umgeben und einer gehörigen Portion Lasterhaftigkeit gesegnet sind. Nun verbeugte sich auch Moritz Rinke dramatisch vor Marlene Dietrich: „Der graue Engel“ ist das erste Theaterstück des 1967 geborenen Journalisten, bekannt unter anderem für seine durchaus amüsante und spitze Feder im Tagesspiegel und anderen Anstandsblättern.
Vielleicht mag es dem Stück abkömmlich sein, wenn man es aus Zeitnot in der U-Bahn liest, doch gerade im Gerumpel zwischen den Stationen erscheint es besonders elfenbeinturmhaft und artifiziell: Eine Diva, gealtert und gebrechlich ins Bett gebannt, hält Tag für Tag einen Monolog in Anwesenheit eines gehorsamen Bediensteten (das Alter ego des Autors?). Der blaue Engel ist grau geworden. Spricht von sich als „Madame“ und ist doch nicht er selbst, denn der Mythos kann nicht alt und häßlich werden. Senil zirkelt Marlenes Reden um ihre Vita, sprunghaft verläßt sie die eingeschlagenen Pfade, um später zurückzukehren – mit Variationen freilich. Von 2.500 Koffern, ebenso vielen Liebhabern, Strumpfbändern und Gugelhupfen ist die Rede. Von Goethe, Kant, Schopenhauer und der Reise zum Nordpol. Und natürlich vom Hurenkostüm, ohne das es die Diva, den berühmten Anzug und den Aufruhr nicht gegeben hätte. Koffer auf, Schublade zu.
Sympathischerweise wird uns die penible Seite der Dietrich, der sogenannte „Schöneberger Realismus“, nicht vorenthalten. Wer aber nach dieser Lektüre zufällig in Donald Spotos vielgerühmter Marlene-Dietrich-Biographie schmökert, entdeckt plötzlich, welch simplen Weg die Inspiration eines Journalisten gehen kann. Dennoch: Nicole Heesters und Ulrich Matthes entlockten bei der Lesung auf dem Stückemarkt des Theatertreffens diesem „Monolog zu zweit“ auch Witz und Trefflichkeit. Angenehm temperiert und engagiert stimmt Nicole Heesters die Tonlage des Alters an – die Bühne gehört allein ihr. Ulrich Matthes hingegen hält sich zurück. Als Diva und Schauspiellehrerin demonstriert die Heesters Dietrichs Kunst der Andeutung: So macht sie das Gretchen, so Elektra, Kriemhild und Lulu. Alles Minigesten. Dann flugs der Wechsel ins moderne Fach, die Mutter Courage und zurück zu Romeo und Julia – gleichzeitig. Einfach nett, aber auch sehr gefällig.
Die Uraufführung des knapp 80seitigen Werkes ist für die kommende Spielzeit im Zürcher Schauspielhaus vorgesehen. Petra Brändle
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