Sand und Rad im Atom-Getriebe

Richard Donderer ist freiberuflicher Reaktorphysiker und passionierter Atomkraftgegner zugleich. Den „Schnellen Brüter“ in Kalkar hat er mit gekippt, für die Staatsanwaltschaft untersuchte er jetzt das AKW Obrigheim. Nur Abschalten müssen es andere

„1991 ist mein Lieblingsreaktor gestorben“

Ein Foto? Richard Donderer wehrt ab. „Sonst sagen die Leute doch: ‚Das ist der Reaktor-Fuzzi von nebenan.‘“ Der Bremer „Reaktor-Fuzzi“, der mit zotteligen Haaren und zerrissenen Jeans im Café im Viertel Cortado schlürft, ist fast 50 und macht auch als Mitglied der Reaktorsicherheitskommission (RSK) des Bundesumweltministeriums keinen Hehl aus seiner Einstellung: Atomkerne spalten und „für ein paar Kilowattstunden“ jahrtausendelang strahlende Abfälle hinterlassen – da gebe es„intelligentere Methoden der Stromerzeugung“, sagt Donderer.

Als Student stand er mit Tausenden in Wyhl und Brokdorf auf dem Acker, um gegen den Bau der AKWs zu protestieren. Heute diskutiert Donderer als Mitglied der Kommission, wie man Atommeiler sicherer machen könnte. Damit etwa eine Wasserstoffexplosion, wie sie vor einem Jahr direkt am Sicherheitsbehälter des AKWs Brunsbüttel drei Meter Rohrleitung zerfetzte, ein wenig unwahrscheinlicher wird. „Wir sind nicht dazu da, zu sagen: ‚Schaltet die Dinger ab‘“, sagt Donderer über sein Ehrenamt.

Früher hätte sich das anders angehört. Donderers Studienzeit war die Zeit der großen AKW-Debatten. Dem konnte sich der Physikstudent an der Uni Bremen nicht entziehen: Statt Licht zu teilen und Spektralfarben zu analysieren, machte Donderer die eher trockene Reaktortechnik zu seinem Spezialgebiet, berechnete Kernspaltungen und Neutronenflüsse. Und wurde so zum Experten für eine Technik, die er ablehnte.

„Erstmal alles nicht glauben“, ist noch heute sein Credo. Zum Studienabschluss lieferten ihm Regierung und Atomindustrie dafür eine Steilvorlage: den „Schnellen Brüter“ in Kalkar. Der sollte nach dem Willen der Planer nicht nur Unmengen von Strom, sondern sogar noch mehr Plutonium erzeugen, als er selbst verbrauchte.

Donderer, frisch diplomiert, machte sich damals mit einem Studienkollegen selbstständig. Sein „Bremer Physikerbüro“, mit dem er bis heute Geld verdient, schrieb die Gutachten für die Bürgerinitiative, später auch für die nordrhein-westfälische Landesregierung. Mit Berechnungen wies Donderer nach, dass bei Ausfall der Brennelementekühlung der ganze Reaktorkern bersten könne. „Der geht dann nicht aus, sondern gibt nochmal richtig Gas“, sagt der Physiker. „Ähnlich wie in Tschernobyl.“

Auch wenn 1991 letztlich die Finanznot den Ausschlag für den Stopp des Milliarden-Projektes „Schneller Brüter“ gegeben haben mag: Donderer ist sicher, seinen Teil zum Tod seines „Lieblingsreaktors“ beigetragen zu haben: „Wir waren Sand im Getriebe.“

Heute ist er eher ein Rädchen darin. Im Frühjahr 1999 rief das Bundesumweltministerium an, bot ihm einen Sitz in der 14-köpfigen Reaktorsicherheitskommission an. Deren Mitglieder sollten „die gesamte Bandbreite der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik vertretbaren Anschauungen“ repräsentieren, hatte Minister Trittin beschlossen. Donderer, der als einer von drei passionierten Atomkraftgegnern im Gremium gilt, überlegte zwei Tage, dann sagte er zu.

In der RSK hat er vor allem mit technischen Details zu tun: Ob drei oder vier Pumpen im AKW nötig sind, ob sie rechts oder links herum drehen müssen. Über Atomkraft an sich wird nicht gestritten. „Wir stellen keine energiepolitischen Regeln auf“, sagt Donderer über seinen „Job“, zieht die Stirn in Falten und kratzt sich am Bart. „So bin ich eigentlich nicht angetreten.“

Aber: „Es gibt keine andere Möglichkeit“, sagt er: „Wenn die Dinger mal stehen, hat man die Grundsatzentscheidung dafür getroffen.“ Und: „Wem würde eine Fundamentalopposition heute nützen?“

Dennoch steht er mit seinen Vorstellungen in der Kommission häufig allein da. Jüngstes Beispiel: Die geplanten AKW-Zwischenlager, die in Süddeutschland mit dünneren Wandstärken als im Norden gebaut werden dürfen. Donderer ist enttäuscht: „Da hätte man ohne großen Aufwand dafür sorgen können, die bestmögliche Schadensvorsorge nach heutiger Kenntnis durchzusetzen.“

Selbst westliche AKWs hält der Bremer immer noch für unsicher. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft nahm er unlängst das schwäbische AKW Obrigheim unter die Lupe. Ergebnis: Wie bei den Reaktoren in Philippsburg scherte sich die Betreiberin EnBW auch beim ältesten kommerziellen Reaktor Deutschlands nicht um die Vorschriften. Über Jahre hinweg, und, wie Donderer betont, „nicht aus Versehen“, war der Sicherheits-Vorrat an boriertem Wasser beim Anfahren des Reaktors zu gering; selbst bei längerem Betrieb des AKWs blieb der Füllstand des Behälters wegen eines Rechenfehlers der Mannschaft zu niedrig. Bei einem Störfall soll die Flüssigkeit eigentlich den Reaktorkern fluten und die atomare Kettenreaktion stoppen. Donderer: „Anscheinend war den Betreibern das nicht so wichtig.“ Die Staatsanwaltschaft hat Vorermittlungen wegen Verdachts auf „unerlaubtes Betreiben einer kerntechnischen Anlage“ aufgenommen – Strafmaß: Geldbuße oder bis zu fünf Jahre Knast.

Ob die EnBW wegen seines Gutachtens ihre Betreiber-Lizenz verliert, hält Donderer indes für fraglich. „Das ist eher eine politische Frage“, sagt er. Und Umweltminister Trittin hat erst Anfang der Woche einen Vertrag mit der EnBW über den Weiterbetrieb des AKWs bis 2005 geschlossen.

Armin Simon