Sänger Dieter Thomas Kuhn über sich selbst: „Meine Frisur dauert 90 Minuten“
Dieter Thomas Kuhn kann keine Lieder schreiben und ist trotzdem gerade auf Deutschland-Tournee. Ein Gespräch mit dem Schlagersänger.
taz: Herr Kuhn, wer sind Sie, wenn Sie morgens vor einem Konzert aufwachen?
Thomas Kuhn: Zunächst bin ich der Familienvater, der sich um seine siebenjährige Tochter kümmert. Ich mache Frühstück und bringe mein Kind in die Schule.
Und wann verwandelt sich Thomas Kuhn in Dieter Thomas Kuhn?
Ich switche erst um, wenn wir auf Tour sind. Auf der Bühne bin ich zwar ein Schauspieler, aber in der Kunstfigur steckt viel von meiner Persönlichkeit.
Können Sie die beiden noch voneinander unterscheiden?
Es gibt mittlerweile keine klare Trennung mehr. Das ist mir bewusst geworden, als wir nicht mehr gespielt haben. Wenn mich die Leute gesehen haben, war ich für sie immer noch der Dieter, egal ob mit oder ohne Föhnwelle.
Dieter Thomas Kuhn ist mittlerweile zwanzig Jahre alt. Aber er scheint sich kaum verändert zu haben.
Die Figur hat sich weder entwickelt noch verändert. Aber genau das macht uns ja aus. Wir sind und bleiben das, was wir sind und immer waren. Eine Zeitlang habe ich einen Schnauzbart getragen. Mir hatte das gefallen, doch das Fanlager hatte es ein Stück weit gespalten.
■ Der Mann: 1992 hat Thomas Kuhn (47) die Kunstfigur Dieter Thomas Kuhn erfunden. Seither hat der Musiker viele Spitznamen gesammelt: singende Föhnwelle, Papst des schlechten Geschmacks oder Godfather of German Schlager. Am Sonnabend spielt Dieter Thomas Kuhn im Rahmen seiner Deutschland-Tournee in Berlin.
■ Die Musik: Er covert Lieder unter anderem von Howard Carpendale, Rex Gildo, Udo Lindenberg und Marianne Rosenberg und verpasst angestaubten Schlagerliedern eine Frischzellenkur. Seine Konzerte sind ein Fest des schlechten Geschmacks und der Emotionen. Feuerzeugflammen wehen durch die Luft, Paare liegen sich in den Armen, Menschen jeden Alters singen und grölen. Aktuelles Album: „Hier ist das Leben“.
■ Die Menge: Die Fans tragen Plateauschuhe, Schlaghosen, knallbunte Hemden, große Sonnenbrillen und Perücken. Zu seiner besten Zeit kamen 20.000 Menschen zu den Konzerten, mittlerweile sind es nicht mehr ganz so viele.
Ist der Look wichtiger als die Musik?
Die Musik spielt die tragende Rolle, aber die Zuschauer kommen ja auch, um mich und die Band zu sehen.
Vielleicht auch, um sich mal etwas anders anzuziehen?
Viele Fans wollen dem Alltag entfliehen und sich einfach mal verkleiden. Wenn ich ins Publikum schaue, sehe ich so viele lächelnde Menschen. Das sind immer jene Momente, die mich darin bestätigen, weiterzumachen.
Sie haben während der Schulzeit im Altenheim gearbeitet, danach waren Sie Masseur im Tübinger Klinikum. Wollen Sie den Menschen Gutes tun?
Ich war schon immer jemand, der es seinem Umfeld recht machen möchte. Denn ich verwöhne und beschenke gerne. Wenn es den Leuten um mich herum gut geht, geht es mir auch gut.
Sie haben sich 1999 von der Bühne verabschiedet. Wieso?
Damals hatten wir schon sieben Jahre gespielt, ich war müde und ausgelaugt von den vielen Touren. Darüber hinaus hatte ich das Gefühl, dass die Figur Dieter Thomas Kuhn nicht mehr viel zu erzählen hat.
Und was sollte die Glatze um Abschied?
Die Föhnwelle war und ist mein Markenzeichen. Damals wollten wir den Leuten auch symbolisch zeigen, dass unsere Zeit zu Ende ist. Haare weg, Kuhn weg.
Inzwischen haben Sie Ihre Frisur ja wieder. Wie lange dauert es eigentlich, bis die sitzt?
Rund 90 Minuten. Früher hatten wir eine Friseurin, die uns auf der Tour begleitet hat. Doch sie wurde uns zu teuer, seitdem frisieren wir uns selber.
Nach ihrem Abgang als Schlagersänger haben Sie sich mit einem Deutschpop-Projekt versucht. Kritiker sagten, das sei gescheitert.
Ich hatte das Gefühl, dass wir uns musikalisch verändern müssen, und ich finde, dass wir eine schöne Platte aufgenommen haben. Aber trotzdem war uns nach ein paar Konzerten klar, dass das nicht unser Ding ist. Außerdem wurden wir mit Pur verglichen. Das war aus meiner Sicht hanebüchen.
Weshalb sind Sie 2004 zurückgekommen?
Während unserer Pause sind viele Leute auf uns zugekommen und haben uns ermuntert wieder zu spielen. Offenbar wurden wir also vermisst. Ursprünglich war nur ein Konzert angedacht, ein Heimspiel in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle. Doch viele Fans haben sich beschwert, dass wir nur in Stuttgart spielen. Also sind wir nochmals auf Tour gegangen. Wir wollten spielen, bis man uns nicht mehr haben will – und mittlerweile befinden wir uns in einer Endlosschleife.
Überrascht es Sie manchmal noch, dass Sie mit gecoverten Schlagern so erfolgreich sind?
Ja, ich finde das selber erstaunlich. Wir haben denselben Spaß wie in den Anfangszeiten. Das sieht man uns an und scheint auch unsere Fans zu begeistern. Ebenso achten wir darauf, in den Medien nicht allzu präsent zu sein, vor allem nicht im Fernsehen. Denn es gibt so viele Leute, die vor laufenden Kameras Unsinn erzählen, da entsteht bei mir oft ein Gefühl von Fremdschämen.
Warum schreiben Sie keine eigenen Lieder?
Ich kann es nicht. Im Laufe der Jahre habe ich das mal versucht, aber ich wurde meinem eigenen Anspruch nicht gerecht.
Wie muss ein Song beschaffen sein, damit Sie ihn covern?
Anfangs konnten die Lieder nicht albern genug sein. Aber im Laufe der Zeit wollten wir nur noch Songs spielen, die uns ernsthaft gut gefallen.
In den vergangenen Jahren haben Sie sich aus dem Fundus der deutschen Schlagerlieder aus den 70er-Jahren bedient. Auf der neuen Platte gibt es nun einige Disco-Songs.
Wir sind diesmal auf einige Disco-Nummern gestoßen, die ursprünglich auf Englisch aufgenommen, aber damals schon auf Deutsch gesungen worden sind. Ein Beispiel ist „Killing me softly“ von Roberta Flack. Die deutsche Version hieß „Etwas in mir wurde traurig“. Die deutschen Versionen waren damals sehr schlecht und sind kaum beachtet worden, nun lassen wir sie aufleben.
Und welche Musik hört Thomas Kuhn privat?
Ich bin mit Pink Floyd, Neil Young und 10cc aufgewachsen. Aber im Moment höre ich viel Folk, zum Beispiel John Mayer. Der war mal mit Jessica Simpson zusammen und ist mir damals aufgefallen, als er sagte, sie sei wie Napalm im Bett.
Wenn Sie auftreten, fliegt mitunter Unterwäsche auf die Bühne. Sammeln Sie die?
Natürlich, es wird nichts weggeschmissen, wir sind ja Schwaben. Diese Klamotten werden in unserem Garderobenschrank aufbewahrt.
Appropos Gaderobe, wer kleidet Sie eigentlich ein?
Mittlerweile lassen wir alles schneidern. Das Einzige, das keine Eigenkreation ist, sind die alten NVA-Trainingsanzüge, die wir schon bei unseren ersten Konzerten getragen haben. Die ollen Dinger sind vermutlich erst einmal gewaschen worden.
Und wer ist Ihr Modeschöpfer?
Philipp, unser Gitarrist, hat die meisten Ideen für Schnitte und Farben. Dann ziehen wir los und suchen die entsprechenden Stoffe. Im Anschluss lassen wir uns hinsichtlich der Nähtechnik beraten. Eine kleine Firma aus unserer Heimatstadt Tübingen setzt dann unsere Wünsche um.
Wie viele Anzüge hängen in der Garderobe?
Die ist gar nicht so umfangreich. Ich habe zwei Goldanzüge, einen Silberanzug und fünf bis sechs weitere schrille Dinger.
Beim letzten Mal hatten Sie nach sieben Jahren von Dieter Thomas Kuhn genug, seit dem Comeback sind schon acht vergangen. Wie lange singen Sie noch?
Solange wir noch spüren, dass man uns sehen will, werden wir live spielen.
Schlager bis in alle Ewigkeit?
Philipp und ich haben neulich eine Folk- und Country-Platte aufgenommen, die soll demnächst veröffentlicht werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels