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Archiv-Artikel

SVEN-MICHAEL VEIT ÜBER SCHLESWIG-HOLSTEIN NACH DER BOETTICHER-AFFÄRE Notbremse vor dem Absturz

Es war die zweitschlimmste Lösung. Neun Monate vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein ist der Rückzug des Christian von Boetticher als Parteichef und Spitzenkandidat der CDU für die Partei zwar ein schwerer Schock. Zur Katastrophe hätte sich dessen Affäre mit einer 16-jährigen aber ausgeweitet, wäre sie erst kurz vor der Wahl bekannt geworden. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen hat deshalb jetzt rechtzeitig die Notbremse gezogen. Sie lässt der CDU zumindest noch eine Chance, weiter an der Regierung zu bleiben.

Carstensen ließ seinen designierten Kronprinzen Boetticher fallen, nachdem dieser sich im persönlichen Gespräch auf die rein juristische Argumentation zurückzog. Die politisch-moralische Dimension seiner Affäre mit einer Minderjährigen blendete er aus. Für Boettichers viele Ämter wird es nun wahrscheinlich mehr als nur einen Nachfolger geben.

Um als Spitzenkandidat für seine Partei ins Rennen zu gehen, gilt Wirtschaftsminister Jost de Jager als Favorit. Ob er zugleich Parteichef wird, ist noch offen – und einen neuen Fraktionsvorsitzenden wird die CDU wohl auch noch benötigen.

Die Kandidaten treten schwere Ämter an. Nicht nur sollten sie für ein christdemokratisches Familienbild der heilen Art stehen – sie müssen auch für alle drei Machtoptionen offen sein, welche sich der CDU nach der Wahl bieten könnten. Den Umfragen zufolge erscheint im Norden eine große Koalition ebenso gut möglich wie Schwarz-Grün oder ein rot-grüner Machtwechsel – Letzterer ist derzeit sogar am wahrscheinlichsten.

Verzweifelt sucht die CDU darum jemanden, der das noch verhindern könnte – oder der sich jetzt opfert, damit sich die Partei nach der Wahl in der Opposition erneuern kann.

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