■ SURFBRETT: Das Private ist öffentlich
Was als Schlachtruf der Studentenrevolte in die Geschichtsbücher der Bundesrepublik einging, hat die Washingtoner Studentin Jennifer Ringley bis zur Perfektion weiterentwickelt, freilich jedoch ohne jeden gesellschaftsprengenden Ansatz. Wer Einblick in das Privateste des Privaten möchte, der/die klicke sich ein bei http:// www.boudoir.org/guests, und schon lädt der Computer alle halbe Stunde ein aktuelles Foto aus Jennifers Schlafzimmer.
Dort passiert natürlich meistens gar nichts, denn entweder ist Jennifer nicht im Raum, oder aber sie schläft, doch gelegentlich läßt sie sich blicken, arbeitet an ihrem Computer und erhält – allerdings noch seltener – Besuch in ihrem kombinierten Arbeits- und Schlafzimmer.
Klingt langweilig? Nun, 20 Millionen Hits jeden Tag belegen das Gegenteil. Fans verehren die 21jährige mittlerweile als „Queen of Cyberspace, und 5.500 Abonnenten weltweit bezahlen 15 US- Dollar jährlich, um alle drei Minuten ein frisches Bild aus Jennys Leben zu erhalten. Ein Geschäft sei das in gar keiner Weise, versichert Jennifer und rechnet treuherzig vor, was der Computer und die Telefonleitungen kosten. 1.000 Dollar hat sie investiert, doch das Geld sei nun ausgegangen, weswegen die Gebühr leider unumgänglich geworden sei.
99 Prozent ihrer Abonnenten sind Männer. Es ist wohl dieser Blick in ein ganz normales Leben, das den Reiz der Website ausmacht. Und gierige Blicke erhoffen sich natürlich Nacktheit oder gar Sex und werden gelegentlich auch belohnt. Jenny findet nichts dabei: „Das Entscheidende ist, daß hier eine wirkliche Person ihr Leben lebt“, sagt sie, „und zum Leben gehört nun einmal auch Sex. Trotzdem ist dies keine Website über Pornographie, sondern sie spiegelt das richtige Leben wider.“
Was vor 18 Monaten als Spaß für ihre engsten Freunde gedacht war, hat sich ausgebreitet wie ein Steppenbrand. Im Augenblick installiert Jennifer eine zweite Kamera in ihrer Wohnung, und in dieser Woche beginnt sie eine fünfwöchige Rundreise durch Europa. Keine Frage – die Kamera ist natürlich immer dabei.
Und die Botschaft des Ganzen? „Ich bin keine bemerkenswerte Person“, sagt sie. „Ich glaube auch nicht, daß ich mein Privatleben aufgebe. Daß Leute mich sehen können, beeinträchtigt mich nicht, ich bin auch weiterhin allein in meinem Raum.“ Noch Fragen? Jennifers E-Mail- Adresse lautet: jenni@pooh-bear.com. Hans-Jürgen Marter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen