STREITFALL LYRIK: Neun gegen Neumann
Der Kulturstaatsminister übernimmt Schirmherrschaft über das multikulturelle Poesie-Projekt "Zwiesprache Lyrik". Einige Bremer AutorInnen sind empört.
Diesmal wirds kontroverser, so viel ist sicher: Als Heide Marie Voigt im vergangenen Jahr zum Unesco-Welttag der Poesie zehn zweisprachige Gedichtbanner unter dem Titel "Zwiesprache Lyrik" in der Stadt aufhängen ließ, gabs Lob und warme Worte satt. Auch in der taz: Als bremische Entgegnung auf Sarrazin feierte die den aus der Aktion hervorgegangenen multikulturellen Gedichtband.
Aber Lyrik braucht immer ein feines Ohr für Misstöne, sprachliche und gesellschaftliche. Entweder, um sie zu vermeiden, oder aber um die Dissonanzen extrascharf in Worte zu setzen - je nach Anliegen. Und diesmal gibts Zwietracht, wegen Bernd Neumann. Den hat Voigt nämlich als Schirmherren gewonnen - und damit einige Bremer AutorInnen erbost. Die protestieren nun mit einem offenen Brief: Neun haben ihn schon unterzeichnet, darunter Inge Buck, Otmar Leist und Rudolph Bauer - Hauptfiguren der bremischen Literaturszene. Dem CDU-Politiker werfen sie "Zensurfreudigkeit" vor, an Voigt passt ihnen nicht, wie sie ihn warb, "undemokratisch" sei das gewesen, ohne Rücksprache.
Ob es die hätte geben müssen ist nicht eindeutig zu klären: In der öffentlichen Wahrnehmung war das Zwiesprache-Projekt Voigts Baby. Auch Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz (SPD) hat ihr persönlich als "Initiatorin" gedankt. Das sei "etwas verkürzt", so Inge Buck: "Die Initiative, am Welttag der Poesie Dichtung mehr in den öffentlichen Raum zu rücken, ging vom Autorentreff aus." Das findet jeden zweiten Montag im Monat im Ambiente neben dem Weserstadion statt. Und zu den TeilnehmerInnen gehört auch Voigt. "Das habe ich nie bestritten", sagt sie.
Was ebenfalls beide Seiten bestätigen: Außer der pensionierten Lehrerin hatte sich keiner die organisatorischen Mühen aufbürden wollen. Bauer habe ihr damals gesagt, "das ist jetzt dein Projekt", so Voigt. Zudem wird es auch diesmal von einer Gruppe vorbereitet. Neumann sei in ihren Augen durch sein Amt ein "demokratisch gewählter Repräsentant", der ihr "sehr viele Türen" öffne. "Ich habe ihn doch nicht als Privatperson angefragt", sagt sie. Dass sie ihn an Bord geholt hat, habe im Vorbereitungsteam auch nicht zu Kontroversen geführt, so Ian Watson, der ihm angehört.
Bauer hingegen moniert: "Das ist alles überhaupt nicht mehr rückgekoppelt worden." Und das habe zu Missmut geführt, der sich jetzt als Zorn äußert, entzündet an der Personalie: Weil, Bernd Neumann und Poesie, und Bernd Neumann und Völkerverständigung - das reimt sich nicht nur nicht. Das beißt sich sogar, finden die Unterzeichnenden. Wegen besagter Zensurfreudigkeit.
Das ist durchaus ein Punkt, und nicht nur wegen jener historischen Erich-Fried-Kontroverse. Damals, am 3. November 1977 war das, hatte Neumann bekannt, die Gedichte des jüdischen Emigranten "lieber verbrannt" zu sehen. Allerdings, er hatte sich später dafür entschuldigt. Und, was schwerer wiegt: Der spätere Büchner-Preisträger hatte das angenommen. "Das ist vergeben, nicht vergessen", so Watson, der mit Fried persönlich befreundet war. Bloß ist Neumann, so sehens einige, rückfällig geworden - in für Zwiesprache Lyrik wichtigem Kontext. Im Herbst 2009 nämlich soll der Kulturstaatsminister als Zensor in die Ausstellung "Fremde? Bilder von den Anderen in Deutschland und Frankreich seit 1871" im Deutschen Historischen Museum (DHM) hineinregiert haben, so behaupten einige von dessen Mitarbeitern. "Während innerhalb Europas die Grenzen verschwinden, schottet sich die Gemeinschaft der EU zunehmend nach außen ab. Die ,Festung Europa' soll Flüchtlingen verschlossen bleiben", hatte ursprünglich auf einer Erklärtafel gestanden. Bei Eröffnung prangte dort aber bloß eine redundante Erklärung der Funktion des Migrationsbeauftragten.
Neumanns Werk? Der bestreitets, der Museumsdirektor sprang ihm bei - aber geglaubt haben ihm wenige: Mit beißender Ironie resümierte die FAZ seinerzeit, dass offenkundig nur "berechtigte Rückfragen aus der Politik, deren Vertreter die Mehrheit im Stiftungsrat des DHM stellen, zu sichtbaren Modifizierungen im Museumsbetrieb" geführt hätten. Näheres regele "das zuständige Fachreferat". Die protestierenden AutorInnen befürchten nun, dass Neumann den Welttag als "Forum missbraucht" um sich als "Förderer der Poesie, des Internationalismus und der Offenheit gegenüber Zuwanderern" zu präsentieren. Und Voigt? Hofft Neumann integrieren zu können. "Wenn er als Schirmherr auftritt, muss er sich schließlich auch zu den Inhalten bekennen."
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