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Archiv-Artikel

STOSSVERKEHR BEI DER RELEASEPARTY VON MALAKOFF KOWALSKI IM THEMROC, SAMSTAGMORGEN BEI IKEA UND ABENDS BEIM DJ-FESTIVAL IM FESTSAAL KREUZBERG Die Vorzüge der Stadt Bielefeld

VON JENS UTHOFF

Als ich am Rosenthaler Platz ankomme, regnet es. Oktobernässe. Ich schreite durch die Torstraße – in die falsche Richtung, wie ich erst nach 300 Metern merke. Ich suche das Themroc. Ein Lokal, das nach dem großen Polizistenfresserfilm benannt ist, muss gut sein, denke ich. Malakoff Kowalski feiert dort an diesem Abend die Releaseparty seines neuen Albums. „Kill your babies“ heißt es und hört sich an wie Oktobernässe. Gutes Album. Irgendwann erscheint eine Fassade in Mint zur Rechten. Hier bin ich richtig.

Hurtiges Tannenzäpfle

Die Bar ist angenehm. Schlicht, bequem, ein bisschen voll. Ich schütte hurtig ein Fläschchen Tannenzäpfle runter. Ich kenne hier keinen. Abgesehen von denen aus Funk und Fernsehen: Maxim Biller und Daniel Richter sind zum Beispiel da. Helene Hegemann und ähnliche Hausnummern sollen auch hier sein, ich sehe sie aber nicht. Im hinteren Raum ist noch Platz. Fotograf Edgar, der Wollmütze, fette Brille und grauen Zwölftagebart trägt, tönt herum, während Kowalski die Gäste begrüßt und von Liebe spricht.

„Hey, Malakoff, trink ’n Wein mit uns!“, brüllt Edgar. Als eine Flasche umkippt, zückt Edgar reflexartig die Kamera und fotografiert die Flecken auf Tischdecke und Kleid. Am Tisch sitzen Produzenten, Theaterleute, Künstler. Gegenüber zupft sich eine Pro7-Borderlinerin ihr Kleid zurecht. Magermodeldürr, viele Klunker, piepsiges Lächeln.

Sie redet von Fernsehproduktionen. Wer mit wem. Sie ist vielleicht 19 oder so. Bret Easton Ellis ist auch da. Zumindest im Geiste. Ich esse Carbonara vegetarisch, trinke mehr Tannenzäpfle. Mit einer ostwestfälischen Tischnachbarin tausche ich mich über die Vorzüge der Stadt Bielefeld aus. Entsprechend schnell wechselt das Thema. Viel haben wir uns sonst nicht zu sagen. Gegen zwölf haue ich ab. Ich gehe in die nun wohlige Oktobernässe. Am Bahnhof Rosenthaler Platz liegen Punks und Hunde aufeinander.

Am nächsten Tag muss ich einen neuen Bürostuhl kaufen. Samstagmittags zum „großen schwedischen Möbelhaus“ zu fahren ist eine Spitzenidee. In etwa so gut, wie in Gülle zu baden. Ich hetze durch das große schwedische Möbelhaus. Dabei trete ich lediglich einer Frau in die Hacken, was ein okayer Schnitt ist. Ich nehme den billigsten Bürostuhl. Dann rechne ich aus, wie viel zusätzliche Biere ich mir am Abend durch die Ersparnis kaufen kann – ungefähr sechs. Einen Teppich für den Wohnungsflur kaufe ich auch noch. Dann aber ciao ciao, großes schwedisches Möbelhaus. Am Abend sehe ich erst ein American-Football-Spiel, darüber schrieb ich schon an anderer Stelle.

Danach geht es in den Festsaal Kreuzberg zu den 100 allerallerschönsten DJs der Stadt. DJanes sind auch am Start, die wurden in der Ankündigung sträflich vernachlässigt. Der Festsaal füllt sich, als ich gegen halb zwölf ankomme. Zwei buddhistische Figuren säumen die Bühne. Dazwischen hüpfen die Damen und Herren Plattenaufleger auf und ab. Pierre Populär, Team Recorder und FB Wong wechseln sich ab, als ich die ersten Pilsener kaufe, die ich mir dank des Billo-Bürostuhls leisten kann. Es funktioniert recht gut mit dem abwechselnden Auflegen, die Menge wackelt vor sich hin.

Mit „I follow rivers“ von Lykke Li beschert mir das DJ-Team einen wochenendwährenden Ohrwurm. Die DJanes JJ Awesome rocken zu zweit auf der Bühne. Acid Pauli alias Console mixt „Sie ist ein Model und sie sieht gut aus“. Die 100 DJs machen ihre Sache gut. Ich beobachte derweil Knutschende, das sind nicht wenige hier. Zwei vor mir reißen die Mäuler so weit auf wie Jungvögel bei der Fütterung. Sieht lustig aus.

Für mich heißt es erst mal Fütterung statt Knutschen, und zwar mit ein, zwei weiteren Pilsenern. Die Biere aber machen mich früh müde, gegen zwei verschwinde ich. Am Sonntag fällt der lange Lauf durch den Treptower Park dafür leichter. Dem Park steht der Oktober gut zu Gesicht. Wir laufen eine große Runde, umkurven die Spaziergänger und kommen an der Disco für das fortgeschrittene Alter am Haus Zenner vorbei. Wir können uns schon mal darauf vorbereiten, wohin uns der Weg in ein paar Jahren führt, wenn wir ausgehen. Zu Hause liegt der Teppich übrigens jetzt im Flur. Sieht scheiße aus!

Auch Wohnung einrichten will gelernt sein, diese Erfahrung machen ich und mein Mitbewohner immer öfter. Ich lasse den Teppich liegen. Als Monument unserer Hilflosigkeit. Und als Erinnerung, niemals mehr am Samstag große schwedische Möbelhäuser aufzusuchen.