STILKRITIK : Ernüchterung
Ihr könnt es ja doch, möchte man der IG Metall überrascht zurufen – politische Botschaften temporeich und witzig rüberbringen, wie es der Spot „Geh wählen“ schafft. Der kursiert seit Montag im Netz und geht ab wie Schmitz’ Katze, wenn die Urrheinländerin das so salopp mal sagen darf. Über 266.000 Klicks heimste das Video bis Mittwochmittag ein.
Klar, das Konzept – Bildschnipsel von sportlichen, politischen, kulturellen oder absurden Situationen gekonnt zusammenschneiden, über kurz eingeblendete Kommentare konterkarieren oder mit einer neuen politischen Botschaft aufladen, das Ganze unterlegt mit treibender Musik – ist nicht neu. Aber es kann charmant sein.
So charmant wie die kleine Lüge, die die DGB-Gewerkschaften da vor sich hertragen: Nein, wir geben keine Wahlempfehlung ab, vorbei ist die große Freundschaft mit der SPD, wir wahren Distanz zu allen und schauen dann mal – so verkauft sich auch der IG-Metall-Spot offiziell als reine Attacke auf die Wahlmüdigkeit. Aber im Subtext flüstert und wispert es dort und auch sonst aus den Gewerkschaftszentralen: Wählt Rot-Grün. Selten traut sich sogar ein prominenter, aber einsamer Rufer nach Rot-Rot-Grün hervor, wie IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban (und das, wo die Linkspartei auch für viele IG Metaller, von der IG Bergbau, Chemie, Energie gar nicht zu reden, immer noch als leicht unberechenbares Schmuddelkind gilt).
Das Votum für die Komplementärfarben liegt ja auch so nah wie lange nicht mehr: allgemeiner Mindestlohn, Tarifvertragssystem stärken, Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen eindämmen, mehr Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte, mehr verbindliche Barrieren gegen Stress im Job – SPD, Grüne und Linke bieten in der Wunderkiste Wahlprogramm all das, was Beschäftigte und damit auch die Schlagkraft der Gewerkschaften stärken würde.
Rot-Grün sollte sich nicht täuschen: Die ihnen vorbehaltlos entgegengebrachte Liebe ist ernüchterter Distanz gewichen. Eine zweite Chance für die Beziehung gibt es nun – aber nur dann, wenn die Therapie bei Rot-Grün gewirkt hat. Bleibt zu hoffen, dass auch die Gegenseite zeitig merkt, wenn das nicht so sein sollte. Bei langjährigen Beziehungen ist das ja immer so eine Sache. EVA VÖLPEL
Rezension des Spots auf taz.de/wahl2013