STEUERDEBATTEN: DIE POLITIK HOLT IHREN RÜCKSTAND AUF : Unzeitgemäßes Bankgeheimnis
Das Bankgeheimnis zu schützen, war für Regierungen einst selbstverständlich – heute ist diese Idee völlig veraltet. Galt früher der Schutz des Individuums und seiner Vermögensverhältnisse als hohes Gut, hat die Entwicklung der Finanzmärkte dieser Rechtsauffassung die Grundlage entzogen. Heute muss eher das Gemeinwesen davor geschützt werden, wegen chronischer Verarmung seine Funktionsfähigkeit einzubüßen. Deshalb brauchen die Finanzämter die Möglichkeit, jedes einzelne Konto der Bundesbürger einzusehen.
Das Bundesverfassungsgericht verhandelt derzeit den Fall eines – ehrlichen – Bürgers, der seinen Gewinn aus Aktienverkäufen nicht versteuern will, weil andere – Unehrliche – ihn auch nicht versteuern. Tatsächlich helfen die Regelungen, die landläufig „Bankgeheimnis“ heißen, vielen Anlegern, ihre wahren Gewinne zu verbergen. Die Schlussfolgerung des Klägers vor dem Verfassungsgericht aber geht an der Sache vorbei. Die Steuerpflicht darf nicht aufgehoben werden – man muss sie im Gegenteil durchsetzen.
Das hat mittlerweile auch CDU-Fraktionsvize Friedrich Merz erkannt. Sein Konzept für eine große Steuerreform sieht vor, dass sämtliche Kapitaleinkünfte wie Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinne voll in die Berechnung der Einkommensteuer einbezogen werden. Ohne Aufhebung des Bankgeheimnisses kann Merz dieses Ziel nicht erreichen. Sonst bliebe es den Kontoinhabern ja wieder selbst überlassen, ihre Gewinne anzugeben oder auch nicht – das Ausmaß ihrer Steuerpflichtigkeit also selbst festzulegen.
Nachdem auch Rot-Grün plant, die Möglichkeiten der Finanzämter zur Informationsbeschaffung zu vergrößern, zeigt sich nun deutlich der Paradigmenwechsel in der Steuerpolitik. Beruhten die Debatten bisher wesentlich auf „alten“ Einkommensarten wie Löhnen und Gehältern, rücken jetzt die „neuen“, weil wichtiger gewordenen Kapitaleinkünfte aus Finanztransaktionen stärker in den Blick. Im weiteren Sinn gehört auch die Erbschaftssteuerdebatte hierher. Die Politik ist dabei, ihren Rückstand aufzuholen. HANNES KOCH