STEPHAN KOSCH ÜBER DIE KANZLERIN UND DIE ZUKUNFT DES ELEKTROAUTOS : Falsch gesetzte Prioritäten
Die Kanzlerin ruft zum Gipfel, Wirtschaft und Politik folgen und denken darüber nach, wie Deutschland elektrisch mobil werden kann. Die Argumente klingen gut: Der Verkehr wird leiser und klimafreundlicher, Ökostrom aus Windrädern steht dauerhaft zur Verfügung, weil er in einer Million Autobatterien zwischengespeichert werden kann, und die Automobilindustrie bekommt ein neues Produkt, das den Absatz wieder ankurbelt. Die Elektromobilität scheint alle zu Gewinnern zu machen.
Doch es gibt auch diejenigen, die etwas zu verlieren haben: Die Mineralölkonzerne. Im Jahr 2020 werden in Deutschland voraussichtlich eine Million Autos nicht mehr bei ihnen, sondern bei RWE, Eon und anderen Stromanbietern tanken. Kein Drama, schließlich fahren 45 Millionen Autos in Deutschland herum. Aber es könnte der Beginn einer Entwicklung sein. Und wenn China und Indien sich auf ihrem Weg in die automobile Gesellschaft erst gar nicht lange mit fossilen Antrieben aufhalten, sondern gleich auf den Strommotor setzen, wird es wirklich brenzlig.
Wie werden die Ölkonzerne also reagieren? Einige bauen eine eigene (Öko)-Stromproduktion auf, doch selbst ein in diesem Punkt fortschrittlicher Konzern wie BP verdient sein Geld noch zu 99 Prozent mit Öl und mit Gas. Letzteres gilt im Unterschied zu Öl als vergleichsweise klimafreundlicher Brennstoff. Gut möglich, dass dem Elektro-Hype ein neuer Gas-Hype beim Auto folgen wird.
Das Problem: Alle diese Ansätze kreisen um ein Verkehrsmittel, das per se ausgesprochen ineffizient ist. Ein Auto steht im Schnitt 23 Stunden am Tag auf irgendeinem Parkplatz herum. Doch auf einen KanzlerInnen-Gipfel zu alternativen Verkehrsstrukturen, die Bus, Bahn, Rad und Carsharing miteinander verbinden, werden wir wohl noch lange warten müssen.
Wirtschaft + Umwelt SEITE 8