STEPHAN KOSCH ÜBER DEN CRASH AN DER WALL STREET : Der Boden bleibt heiß
Noch weiß keiner genau, wie es zum Beinahe-Crash der Wall Street am Donnerstagabend kam. Die automatischen Käufe und Verkäufe per Computer sollen Schuld sein, vielleicht auch eine simple Verwechslung von Millionen und Milliarden.
Das gibt Raum für Spekulationen, wie zum Beispiel diese: Während die Börsen zitterten, stritt der Senat in Washington, ob die großen US-Banken zerschlagen werden sollten. Kurz vorher hatte Angela Merkel mit Blick auf den sinkenden Eurokurs und Griechenland ihren Siegeswillen in der „Schlacht der Politiker gegen die Märkte“ ausgedrückt. Man könnte also die Ereignisse vom Donnerstag auch als eindrucksvolle Machtdemonstration in einem sich verschärfenden Konflikt werten. Schließlich hat hier jemand mit einem Knopfdruck weltweite Panik ausgelöst – das gelingt sonst nur Terroristen. Der US-Senat hat den Vorschlag zur Zerschlagung der Banken übrigens abgelehnt.
Wer in den vergangenen Monaten vom Ende der Krise und der neuen Stärke der Finanzmärkte schwadronierte, war also im Unrecht. Die Anleger sind noch immer durch die Finanzkrise traumatisiert und neigen zu Panikattacken. Doch auch wenn sie in der ganzen Aufregung nicht zu sehen ist – die Rationalität hat die Märkte nicht ganz verlassen. Denn dass es zu Kurskorrekturen kommen muss, war absehbar. Einem Euro-Land droht die Pleite, die anderen laden sich noch ein paar Kredite mehr auf ihren Schuldenhaufen. Die Folge werden zwangsläufig geringere Investitionsquoten und höhere Steuern sein. Das alles wird auch die Gewinne der Unternehmen schmälern.
Die Welt wird also gerade von einem weiteren Nachbeben der Finanzkrise durchgerüttelt. Wir bleiben auf unsicherem Terrain. Es war an der Zeit, dass sich an den Börsen diese Realität widerspiegelt.
Wirtschaft + Umwelt SEITE 6