STELLVERTRETER DES SELBST : Schöne Verlierer
Es war schon halb drei. Ich war nervös. Der einfache Stoß, der das Spiel hatte beenden sollen, ging daneben. Im Hintergrund hörte ich jemand sagen: „Man muss nicht nur verlieren, sondern auch gewinnen können.“ Es war, glaube ich, einer der beiden Snooker-Spieler, die hier wie wir jeden Mittwoch spielten.
Sie waren jedenfalls schon fertig und saßen nur noch für ein letztes Getränk am Tresen. Ich blickte nicht auf. Ich hatte den ganzen Tag schon nur auf den Boden geguckt. War ja auch egal. Vielleicht hatte ich mir diesen Satz auch nur eingebildet. Ich war ja tatsächlich ein ziemlich guter Verlierer und ein ziemlich schlechter Gewinner. R. hatte mir vor Jahren schon einmal geraten, ich solle mich vielleicht nicht so sehr nur auf die schönen Verlierer konzentrieren.
Wir hatten schon zwei, drei Stunden gespielt; die anderen hatten neun- bis zwölfmal gewonnen; für mich ging es nur noch darum, zumindest einmal zu gewinnen. Nur einmal!
Dann war dieser, vielleicht auch eingebildete, Satz vorbeigekommen; ich hatte ihn aufschreiben wollen, aber keine Gelegenheit dazu gefunden, während ich weiter verlor und in Gedanken eine trübsinnige Mail schrieb, die davon handelte, dass ich vielleicht schon zu lange allein gewesen war, um mich nun locker und lustig sozialisieren und verabreden zu können – dazwischen prallte eine Kugel, die im Mittelloch hatte landen sollen, vom Innenpfosten ab. Ich dachte an das Buch, das längst schon hätte fertig sein müssen, und dass das Problem eben sei, dass ich es nicht ernst genug nehmen würde, dass ich es von einem Stellvertreter meiner selbst schreiben ließ, den ich beobachtete, um dessen vergebliche (Schreib- und Nichtrauch-)Versuche zu protokollieren, wie ich mich grad ja auch beim Verlieren beobachtete. Und dabei dauernd rauchte. Und am Ende doch gewann, keine Ahnung wie, sogar mehrere Male. DETLEF KUHLBRODT