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Archiv-Artikel

STEFAN KUZMANY über GONZO Bekannte unter Belagerung

Wie die unbescholtene Familie S. einmal mit dem Gesetz in Konflikt geriet

Erinnert sich noch jemand an den 8. Dezember 2005? Nein? Lassen Sie mich ein wenig nachhelfen: Es war Winter, Sie wissen schon, diese erfrischende Jahreszeit, in der manchmal Schnee fällt, dieses Produkt aus vielen Milliarden kleiner Eiskristalle, hmm, Eiskristalle … aber ich schweife ab, das macht die Hitze.

Ich erinnere mich gut, denn am 8. Dezember rief mich mein Freund Timo an und sagte: „Wir werden belagert.“ Er befand sich in der Wohnung seiner Eltern, und außerhalb der Wohnung fand gerade ein Großeinsatz statt, der zum Ziel hatte, in diese Wohnung einzudringen. An die Tür trommelten und klopften und riefen „Aufmachen!“ in chronologischer Reihenfolge: zwei Beamte vom Ordnungsamt, dann Polizisten, dann der Notarzt und die Feuerwehr.

Die Familie S. ist mir sehr vielen Jahren gut bekannt und kann mich eigentlich kaum noch überraschen. Aber diese Geschichte war neu: Am Nachmittag des 8. Dezember war eine ältere Frau, eine Bekannte der Familie S., mit ihrem Setter in einem Wald in der Nähe der Wohnung der S. spazieren gegangen. Sie hatte, was verboten ist, ihren Setter nicht angeleint. Zwei Mitarbeiter des Ordnungsamtes stellten sie zur Rede und wollen ihr ein Bußgeld aufdrücken. Doch die Frau, nennen wir sie Helga B., flüchtet. Es ist den deutlich jüngeren Ordnungsbeamten nicht möglich, sie einzuholen. Vielleicht liegt Schnee, vielleicht sind sie nicht die Schnellsten, wer weiß. An ihrem mangelnden Ehrgeiz kann es nicht liegen, denn als Helga B. sich samt Hund in das Mehrfamilienhaus begibt, in dem die S. wohnen, da verfolgen sie sie bis vor die Wohnungstür der S. Die fällt zu – Helga B. hat Asyl gefunden.

Die Ordnungskräfte rufen die Polizei, was ihnen aber nichts hilft: Die S. haben im Internet recherchiert und nachgeschlagen, dass sie die Türe auch der Polizei nicht öffnen müssen, weil keine Straftat vorliegt. Die Beamten geben nicht auf. Sie rufen den Hausmeister an und bitten ihn, die Wohnungstür zu öffnen. Doch der Hausmeister weigert sich. Nach anderthalb Stunden haben die Ordnungskräfte eine spektakuläre Idee: Sie verständigen Notarzt und Feuerwehr. Sofort kommen ein Krankenwagen und zwei vollbesetzte Feuerwehrautos angerast, ein Feuerwehrmann will sich durchs Treppenhaus zum Brandherd durchkämpfen und muss von den Wohnungsinhabern daran gehindert werden, die Türe einzutreten. Als er erkennt, dass kein Notfall vorliegt, rückt er ab. Auch Notarzt und Polizei verschwinden wieder. Nur die beiden Ordnungsbeamten lungern weiter vor dem Haus herum, in der Hoffnung, die alte Frau doch noch zu erwischen. Doch die kam nicht raus, erst spät am Abend wagt sie sich heim.

Letzte Woche kam die Sache vor Gericht: Frau S., die Inhaberin der Wohnung, sollte für die Nichtanleinung des Setters und für den Großeinsatz bezahlen. Herr S. war auch dabei, klar. Er hatte einige Seiten geschrieben und kopiert, um sie an anwesende Journalisten zu verteilen. Es waren aber kaum welche da, und damit überhaupt jemand davon erfährt, sei hier die Kernaussage zitiert: „Der lange andauernde Belagerungszustand hat die Familie S. in ein kriminelles Licht gerückt und ihren guten Ruf nachhaltig geschädigt.“

Es ist hier eindeutig festzuhalten: Die Familie S. ist nicht kriminell und hat einen hervorragenden Ruf. Jedenfalls war das auch das Ergebnis der Gerichtsverhandlung. Nachdem Frau S. als Angeklagte ihre Version der Geschichte geschildert hatte, rief das Gericht die Ordnungsbeamtin Sch. als Zeugin auf. Von ihr wollte die Vorsitzende nur eines wissen: Befand sich die Frau mit dem unangeleinten Setter im Moment im Gerichtssaal? Nein, das tat sie nicht. „Dann ist das Verfahren hiermit eingestellt, die Kosten trägt die Staatskasse“, sagte die Richterin.

Unten, vor dem Gerichtsgebäude, wartete schon Helga B., um mit den S. den Sieg zu feiern. Hätte das Gericht Frau S. verurteilt, hätte sie die Kosten übernommen. Ich wollte mich noch ein wenig mit ihr über Hundeliebe und Leinenzwang unterhalten, aber ich konnte sie nicht einholen. Sie war einfach zu schnell.

Fotohinweis: STEFAN KUZMANY GONZO Fragen an Justitia? kolumne@taz.de Morgen: Michael Streck über TRANSIT