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Archiv-Artikel

SPORTPLATZ Ein einzijes Mal nich aufgepasst

BUNDESLIGA Die 1:O-Partie am Samstag zwischen Hertha BSC und FC Bayern München sorgte bei den Berlinern für herbe Enttäuschung – zumal die Herthaner das Tor verteidigt hatten wie eine Hundemutter ihre Welpen

Bis um 20.06 Uhr am Samstagabend trug Falko sein zerfleddertes Hertha-Tüchlein noch würdevoller um den Hals, als er dies ohnehin schon tat. Wenn er Richtung Leinwand blickte, durch den Rauch der Kneipe hindurch, sah er, wie Hertha wirklich fast jeden Angriff der Bayern entschärfte. Die Berliner wollten der Münchener Übermannschaft um jeden Preis einen Punkt abringen.

Falko schlürfte gerade an seinem Wasser, als es zehn Minuten vor dem Abpfiff dann doch noch passierte: Ein Bajuware flutschte durch die Abwehrreihen der Hertha hindurch. Augenblicke später markierte Bastian Schweinsteiger das 1:0.

Falko, ein schwarzer Labradormischling, legte sich nach dem Abpfiff kurz darauf enttäuscht vor den Eingang des „Herthaner“, der Stammkneipe seines Frauchens in Neukölln. Der Traum von einem Punkt bei der Bundesligapartie in München war ausgeträumt, es blieb beim 0:1. Von drinnen hörte er das Lamentieren meist betrunkener Menschen in blau-weißen Klamotten: „Jut jespielt ham wa“, schrie einer durchs Lokal. „Ein einzijes Mal nich aufgepasst“, ärgerte sich ein anderer.

Auf Hertha war Falko dennoch stolz an diesem Nachmittag. Das Team verteidigte das eigene Tor wie einst seine Mutter den Welpenwurf. 11 kämpfende und rennende Herthaner verschanzten sich tiefer und tiefer in der eigenen Hälfte, um das elegante Spiel der Götzes, Müllers und Schweinsteigers zu unterbinden – sie mauerten mit zwei Viererreihen. Frauchen hatte Falko mal erklärt, dass man in Berlin mit dem Einmauern so seine Erfahrungen gemacht hat. Er hatte es nicht ganz verstanden.

Einmal im Lauf des Spiels schrie die ganze Kneipe auf. Falko war, wenn er ehrlich sein sollte, gerade etwas weggedöst und hatte sich erschreckt. Dass diese Menschen aber auch immer so schreien mussten! Nach 55 Minuten hatten nicht die Bayern, sondern Hertha die bis dato größte Chance des Spiels. Mittelfeldspieler Nico Schulz lief allein auf Bayern-Torwart Manuel Neuer zu. Schulz zögerte zu lange, Neuer hielt, wie Falko jetzt in der Zeitlupe sehen konnte.

„Den musste machen“, grölte einer der Herren am Tresen und setzte hinzu: „Dit war die Schangse des Spiels.“

Falko ahnte zu diesem Zeitpunkt schon, dass es so sein könnte wie beim letzten Auftritt seiner Hertha in München vor eineinhalb Jahren (2:3), als sein Halstuch auch schon kein Glück gebracht hatte: Top gespielt, den Bayern alles abverlangt, aber am Ende stand man mit leeren Händen da. So auch diesmal. Dennoch: Trainer Pal Dardai hatte seine Mannschaft am Samstag bestens eingestellt. Hertha ließ nur 16 Torabschlüsse der Bayern zu, erarbeitete sich selbst 8 Abschlüsse. Und während der Nachspielzeit, als die Berliner die Bälle hoch in den Münchener Strafraum droschen, um vielleicht doch noch ein Tor zu erzielen, da musste der Champions-League-Halbfinalist tatsächlich um diesen Sieg zittern.

Punkte brachte das aber nicht mehr ein. Hertha steht weiter mit 34 Punkten auf Rang 13 und ist immer noch nicht endgültig gerettet. Man hat vier Spieltage vor Saisonene noch einen komfortablen 6-Punkte-Vorsprung auf den Relegationsrang 16 (Stand bei Redaktionsschluss). Nun aber folgen die schweren Spiele zu Hause gegen Mönchengladbach und in Dortmund.

So sorgte sich Falko nach der Partie ein bisschen um sein Team, als er unter der großen Hertha-Fahne am Eingang lag. Irgendwann blickte er auf. Jemand kam auf ihn zu und streichelte ihm übers Fell. Es war ein dicker, freundlicher Mann, der hin und her wankte.

Der Labradormischling hatte etwas Angst, dass er auf ihn drauffallen könnte. Er schaute auf das T-Shirt des Mannes. „Herthaner zu sein ist eine Ehre – kein Vergnügen“, stand darauf. Falko war froh, sich die Zeichensysteme der Menschen mal draufgeschafft zu haben.

So verstand er, wie viel Wahrheit in diesem Slogan doch steckte. JENS UTHOFF