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SPORTKOLUMNE VON KLAUS NÜSSERRückschritt bei Fortschritt kein Schritt ins Chaos

■ „Schiebocker“ Fußballer planen für die Amateur-Oberliga

Bischofswerda. Vor einem Jahr stiegen die Kicker von Fortschritt Bischofswerda aus der Oberliga nach nur einer Spielzeit im Oberhaus wieder ab. Nun droht ein weiterer Absturz, denn nach einer mißlungenen ersten Halbserie, die man mit 15:15 Punkten auf Rang neun der Liga Staffel A beendete, sieht man keine Chance mehr, in den bezahlten Fußball zu kommen. Ein Schicksal, das 37 von 45 Ost-Teams ereilt. Das bedeutet anders ausgedrückt, rund 750 „Arbeitsplätze“ gehen verloren.

Trotzdem ist die Stimmung in der Elf von Trainer Jörg Bär nicht schlecht. Der 34jährige spielte noch im Herbst Libero, war Kapitän der Oberlausitzer und übernahm zu Beginn des Jahres 1991 als dritter Trainer nach Horst Rau und Thomas Forstkamp in dieser schwierigen Saison die Verantwortung. Seitdem geht es sportlich voran. 11:1 Punkte bisher. Damit kletterte man auf Rang vier der Tabelle.

Die Spieler aus der kleinen Stadt (rund 11.000 Einwohner) in der Oberlausitz, die von den Einheimischen kurz „Schiebock“ genannt wird, haben den Kopf frei für das Fußballspielen. Bis zum 30.6. sichert der eigentlich nicht mehr existierende Hauptsponsor noch alles ab. Der größte Betrieb des Ortes, das Mähdrescherwerk — ein Teil des ehemaligen Kombinats „Fortschritt“ — hat nun als Erntemaschinenwerk genügend eigene Probleme, so daß er danach nur noch wenig Hilfe geben kann. So entsteht ein Sponsorenring aus Klein- und Mittelbetrieben der Stadt und des Umlandes, über den vor allem die Arbeitsplätze abgesichert werden sollen. Dabei erklärte das Präsidium, daß man für alle Spieler, die man für die Amateuer-Oberliga haben will, solche Bedingungen schaffen will, daß für sie auch Training und Wettkampf möglich sind. Genaues legte man noch nicht der Öffentlichkeit vor, aber die Planungen für die Amateur-Oberliga seien abgeschlossen.

Indiz dafür ist, daß der Neutrainer Jörg Bär einen Zwei-Jahresvertrag hat, also auch nach dem Übergang zum Amateurfußball hauptamtlich arbeiten wird. Die Fußballbegeisterung ist groß und noch immer kommen zu den Heimspielen 600 bis 800 Zuschauer, das sind etwa so viel wie der FC Berlin und Union Berlin in der großen deutschen Hauptstadt auch haben und mehr als viele der derzeitigen Ligateams. Außerdem wird man von den Stadtvätern gut unterstützt. Das Stadion gehörte schon immer der Kommune. Es wurde vor fünf Jahren — als die Bischofswerdaer zum ersten Mal für eine Saison Oberliga spielten — mit einem modernen Sozialtrakt ausgerüstet und kann vom Fußballverein weiter sehr kostengünstig genutzt werden.

Seit 1908 rollt der Fußball organisiert in Schiebock, war aber lange Zeit bedeutungslos. Erst im letzten Jahrzehnt ging es dank sehr guter Nachwuchsarbeit voran. Zwar mußten die besten Talente, wie in der DDR üblich, ins Leistungszentrum nach Dresden zu Dynamo delegiert werden, aber wer dort den Sprung in die erste nicht schaffte, kehrte in die Heimat zurück. So auch Jörg Bär, der aus Burkau, einem kleinen Ort sechs Kilometer entfernt von Bischofswerda, stammt. Und mit der wachsenden Stärke der Elf kamen aus Dresden auch Spieler, die nicht aus der Oberlausitz stammen, wie zum Beispiel der heutige Torhüter René Groß. Die Listen ließen sich verlängern, aber ich will noch die dritte Säule erwähnen. Auch aus den kleinen Vereinen der Oberlausitz stoßen immer wieder Fußballer dazu, die sich den Anforderungen gewachsen zeigen. So kam der 27jährige Verteidiger Steffen Schmidt aus dem 15 km entfernten Neukirch von einer Kreisklassenelf. So setzt man in Zukunft in Bischofswerda weiter auf den Nachwuchs und bezahlt für diesen Bereich ebenfalls einen hauptamtlichen Übungsleiter. Neun Mannschaften gehören meist der höchsten regionalen Nachwuchsliga an.

So ist man sicher, daß der Fußball in Bischofswerda weiter rollt, zur Freude der Fans. Mal sehen, was daraus wird, denn an einen Aufstieg in die Oberliga hatte vor Jahren auch niemand gedacht, und dann war man plötzlich dabei. Denn auch in der neuen Zeit gelten die alten „Fußballregeln“ — der Ball ist rund, und möglich ist alles. Nur das Geld spielt auch bei den Amateuren eine größere Rolle als früher.

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