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Archiv-Artikel

SPIELPLÄTZE (18) Und plötzlich war Pause

FUSSBALLGUCKEN Wie sich spielfreie Tage anfühlen – wenn man vorher alles geguckt hat. Echt alles

Spielplatztest

■  Ort: Sagen wir mal: irgendwo in Kreuzberg

■  Sicht: Super.

■  Kompetenz: Ja, kompetent. Kompetent bis albern.

■  Nationalismus: Nein, nein.

■  Wurst: Wurst? Nein, eher nicht.

(Die Testergebnisse wurden vom Autor dankenswerterweise fernmündlich nachgeliefert)

Die WM schien schon endlos zu dauern und nur die Alten erinnern sich daran, wie alles begann; damals, als Südafrika gegen Mexiko spielte, damals, als die Nordkoreaner so heldenhaft die Brasilianer überraschten. Damals, als der französische Präsident seine Sportministerin „schickte“, damals, als der Kommentator sagte: „Der Torwart ist knapp über 1,20 und damit der größte Spieler der Nordkoreaner“, damals, als ich mich dem Schwarm hungriger Fliegen anschloss. Jeden Tag hatten wir alles geguckt. Es war toll, aber auch anstrengend gewesen; das ständige Rauchen, Trinken und Kiffen beim Gucken, das Sich-treiben-Lassen zwischen den unterschiedlichen Fernsehern und Leinwänden der Stadt.

Und plötzlich war Pause. Die Sonne schien und niemand spielte. Was soll das?! Statt Fußball wurde eine Präsidentenwahl gesendet, die die Kanzlerin damit interessanter zu machen versuchte, indem sie sie mit dem England-Spiel verglich. Verzweifelte schauten sich das vor dem Reichstag im Public Viewing an. Ich verfolgte den Kampf der Polittitanen im Radio. Warum hatte niemand Olli Kahn vorgeschlagen? Trotz Verlängerung war es langweiliger als das ödeste Spiel dieser WM.

Das Fenster war geöffnet, doch nirgends hörte man die Vuvuzelas. Es war kurz vor vier. Irritiert saßen die Leute vor dem Manyo in der Karl-Kunger-Straße und schauten ein bisschen verloren in die Richtung des abwesenden Fernsehers.

Ich ging durch die Straßen Kreuzbergs. Alles war eigentlich entspannt und sah gut aus. Es war komisch, die Wirklichkeit mal zu sehen, wie sie ist, und nicht durch die Augen von Kameras, die besser sehen als man selbst.

Da und dort liefen kleine Jungs mit enger Ballführung und allerlei Übersteigern über den Bürgersteig und sagten, sie seien „Messi“. Ich besuchte B. In seinem Zimmer war es einigermaßen kühl. Anders als sonst immer schaute er sich an diesem Abend kein Frank-Zappa-Konzert an. Wir tranken und rauchten und sprachen über die Spiele, während im Fernseher was Anderes lief.

Plötzlich wurde in den Bundestag umgeschaltet. Die Spannung stieg

Plötzlich wurde in den Plenarsaal des Bundestags umgeschaltet. Die Spannung stieg. „Wenn Wulff floppt, gewinnt Deutschland gegen Argentinien“, sagte B. Zwar wusste er, dass das Spiel interessanter sein würde, ließ sich dann aber doch von der ausgeklügelten Theatralik und den taktischen Finessen des Politspektakels mitreißen. Bis zum letzten Augenblick hoffte er darauf, dass der junge CDU-Spund den Mut finden würde, Nein zu sagen.

Der Rest ist bekannt und wird auch „La Mannschaft“ zurückwerfen: Gauck wurde Bundespräsident der Herzen. Argentinien wird gegen Deutschland im Elfmeterschießen gewinnen. Nach ausführlichem Studium der antiargentinischen Hetzartikel etwa in der BZ („Verrückter Maradona droht den Deutschen“, „Die fiesen Tricks der Argentinier“ usw.) bin ich zu dem Schluss gekommen, das auch gut zu finden. Vielleicht wäre es aber auch schön, wenn Deutschland gewänne. DETLEF KUHLBRODT