SPD-Politiker Brodkorb über die NPD: Auf antipolnische Kampagnen gesetzt
Weil ihr die Themen ausgehen, wird die NPD die Ressentiments gegen Polen verstärken, befürchtet SPD-Politiker Mathias Brodkorb aus Mecklenburg-Vorpommern.
taz: Herr Brodkorb, kommt die NPD wieder in den Landtag?
Mathias Brodkorb: Es wird eng. Sie liegt derzeit in Umfragen unter fünf Prozent. Es wird also von der Wahlbeteiligung abhängen.
2006 erhielt die NPD über sieben Prozent. Wenn es so bleibt, woher rühren die Verluste?
Es gibt bei Protestwählern Ernüchterung, nach dem Motto: Man hat NPD gewählt - aber geändert hat sich nichts. Auch eher bürgerliche Wähler sind enttäuscht. Die NPD hat im Landtag keinerlei Sacharbeit gemacht. Der bildungspolitische Sprecher der NPD war 2011 drei Mal im Bildungsausschuss anwesend, 15 Mal nicht. Die NPD verfolgt im Landtag die Taktik, durch Beleidigungen in den Medien vorzukommen. Pöbelei auf Staatskosten kommt bei bürgerlichen Wählern aber nicht an.
Gibt es noch mehr Gründe für die Schwäche der NPD?
Ja, zentral ist die politische Gesamtlage. 2006 hat die NPD geschickt von der Anti-Hartz-IV-Stimmung profitiert. Das gelang ihr auch, weil die Linkspartei damals in der Regierung war und den Protest nicht kanalisieren konnte. Das ist jetzt beides anders: Es gibt keinen drängenden Sozialprotest, und die Linkspartei ist in der Opposition. Die NPD hat kein Mobilisierungsthema.
Jg. 1977, ist seit 2002 für die SPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, seit 2008 ist er stellv. Vorsitzender der SPD-Fraktion.
Wie groß ist denn die Stammwählerschaft der NPD?
Sie liegt bei etwa drei bis vier Prozent. Das ist regional sehr verschieden. In Rostock spielt sie keine Rolle. In Uecker-Randow an der polnischen Grenze ist die NPD mit rechter Graswurzelarbeit Teil der Zivilgesellschaft geworden. Man muss sich von der Illusion verabschieden, dass die NPD im Nordosten eine reine Protestpartei ist.
In Uecker-Randow sieht man viele NPD-Plakate. Überlassen die demokratischen Parteien der NPD das Feld?
Ich finde diese Frage falsch.
Warum?
Weil sie zeigt, dass Bürger, Journalisten, Wissenschaftler etc. dazu neigen, die Aufgabe, die NPD zu bekämpfen, allein an die Parteien zu adressieren. Die Rettung der Demokratie ist aber Aufgabe aller Bürger, nicht nur die von Parteien, nicht nur von Leuten, die ihre Freizeit für Gremienarbeit und Ortsbeiräte opfern. Es gibt im Osten wegen der DDR-Vergangenheit eine große Distanz zu Parteien. Die Strukturen sind schwach, von der CDU bis zur Linkspartei.
Das soll heißen, dass die demokratischen Parteien in Bezug auf die NPD alles richtig machen?
Nein, aber einiges. Die Demokraten haben sich in Schwerin nicht von der NPD spalten lassen. Es gibt, anders als in Sachsen, im Landtag keine Abgeordneten, die für NPD-Anträge gestimmt haben. Niemand hat je für die NPD applaudiert, bei jeder Rede eines Demokraten gegen die NPD haben alle Fraktionen applaudiert.
Aber?
Darin liegt die Gefahr einer Selbsttäuschung. Wir haben die NPD im Landtag in über 120 Sitzungen isoliert, vorgeführt, "besiegt". Dabei gerät aus dem Blick, dass die NPD im Parlament gar nicht gewinnen will, sondern in der Feuerwehr, im Dorf, in der Schule. Die politische Isolierung ist richtig - aber das ersetzt nicht, sich argumentativ mit der NPD auseinanderzusetzen.
Hat die NPD in der Zukunft neue Mobilisierungsressourcen?
Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt hat sich aus demografischen Gründen dramatisch zum Besseren verändert. Es gibt mehr Stellen als Auszubildende - das verringert das Protestpotenzial, das die NPD erreichen kann, entscheidend.
Also killt die Demografie die Nazis?
Die Demografie und damit die Entwicklung des Arbeitsmarktes bringen die NPD langfristig in echte Schwierigkeit. Der Humus schwindet.
Also wird alles gut?
Nein. Das ist ja kein Automatismus. Außerdem gibt es für die NPD noch eine Situation, die sie ausnutzen kann. Es gibt ja seit Mai 2011 die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bürger aus acht EU-Staaten Osteuropas und bei uns gibt es Fachkräftemangel. Wir müssen also einheimische Arbeitskräfte stärker qualifizieren. Sonst wird die NPD diese Lage als neuen Treibstoff nutzen und auf antipolnische Kampagnen setzen. Das ist, gerade im Grenzgebiet, eine reale Gefahr und teilweise schon Realität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?