■ SPD-Abgeordnete zum Einsatz der Bundeswehr – ein vertrauliches Papier des Seeheimer Kreises: Ist Richtiges aus der falschen Ecke wirklich immer falsch?
Wohl kaum eine Frage in der Bundesrepublik ist derzeit so verkantet wie die, was denn die Bundeswehr in Zukunft können sollen darf. Mit bemerkenswertem Aufwand hat das einschlägige politische Personal an der seit längerem zu besichtigenden Blockade gearbeitet. Die ist auch deshalb total, weil lagerübergreifend Konsens besteht, daß die Auflösung allein aus Karlsruhe kommen könne. Out of area ist die Geschichte einer systematischen Selbstentmachtung der Politik, die zeitgleich über öffentliche Verdrossenheit herzieht.
Nicht nur zwischen Regierung und Opposition geht nichts mehr. Auch die SPD scheint bewegungsunfähig. Das wäre nicht weiter tragisch, würde sich die Partei nicht unangefochten im Besitz des Schwarzen Peters befinden. Die westeuropäische politische Union, der deutsche Sitz im Weltsicherheitsrat, die Zukunft des westlichen Bündnisses, das Ansehen des vereinigten Deutschlands in der Welt – all das, so das herrschende Bild, verlangt eine Entscheidung in puncto Bundeswehr. Alles wartet auf die SPD, und die rührt sich nicht.
Der dilettantische Versuch eines Befreiungsschlages durch den Fraktionsvorsitzenden unterstreicht das nur. Anders liegt der Fall bei drei Abgeordneten, die dem rechtssozialdemokratischen „Seeheimer Kreis“ verbunden sind. Die MdBs Schloten, Andres und Soell haben ein vertrauliches, gleichwohl kursierendes Papier (Titel: „Internationale Erwartungen erfüllen – Von den Pflichten des vereinigten Deutschlands in der UNO“) verfaßt, das Wege aus der Blockade aufzeigen will.
Die Autoren sind besorgt, daß das Bundesverfassungsgericht mit einem „Nichts ist unmöglich“-Urteil der Bonner Regierung endgültig freie Hand geben könnte: „Es ist geradezu verblüffend zu erleben, wie wenig dieser Umstand in unseren Reihen Beachtung findet... “
Die Erklärung für diesen Verlust des Vorstellungsvermögens liegt allerdings auf der Hand. Denn in der Bereitschaft, sich einem Spruch des Verfassungsgerichts zu unterwerfen, bündeln sich verschiedene Motive: von der Hoffnung auf Karlsruher Restriktionen bis zur Erwartung höchstrichterlichen Segens für eine außenpolitische Rundum-„Normalisierung“, mit dem man die träge Partei in Bewegung bringen zu können glaubt.
Handlungsbedarf besteht nicht nur mit Blick auf die ohnehin schwer beschädigte politische Kultur des Landes. Die Aussicht, daß sich das neue Deutschland an „Kriegen aus geopolitischen und geostrategischen Gründen (ungehinderter Zugang zu Rohstoffen, militärische ,Sicherung‘ von Absatzmärkten, bewaffnete Migrationsabwehr etc.)“ beteiligen könnte, scheint den Verfassern jedenfalls nicht aus der Luft gegriffen. Den Bestrebungen „militärischer Machtpolitik als Instrument nationaler Interessenpolitik“ aber allein mit unerschütterlichem Vertrauen auf Karlsruhe zu begegnen, wird nicht nur den Autoren etwas mager anmuten.
Was aber soll statt dessen passieren? Die Bundesrepublik, so die drei Abgeordneten, müsse zukünftig voll UN-kompatibel sein, sich also an friedenserhaltenden und friedensschaffenden Maßnahmen der Weltorganisation beteiligen dürfen. Der diesbezügliche Vorschlag der Regierungskoalition vom März für eine Grundgesetzänderung könne übernommen werden – mit einer wesentlichen Änderung: In beiden Fällen sei statt der vorgesehenen einfachen Mehrheit der Mitglieder eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages vonnöten.
Die höhere Hürde dürfte in der UN-freundlichen, gleichwohl aber bei Militäreinsätzen sehr zurückhaltenden deutschen Öffentlichkeit auf breite Zustimmung stoßen. Und auch das deutschlanderfahrene Ausland, dessen Wünsche etwas komplizierter liegen, als die Darstellungen des Auswärtigen Amtes und der Hardthöhe glauben machen wollen, würde sich wohl kaum wehren.
Zudem hat der Vorschlag taktische Vorzüge, spielt doch der Außenminister gelegentlich mit dem Gedanken, Zweidrittelmehrheiten bei Kampfeinsätzen zuzugestehen. Damit begibt er sich auf abschüssiges Gelände, was die Verfasser wissen, auch wenn sie nicht den Finger auf die Wunde legen. Weil nämlich die Regierung nicht müde wird zu betonen, daß eine exakte Trennung zwischen friedenserhaltenden UN-Missionen und Kampfeinsätzen weltfremd sei, sind in der Fortsetzung dieser Argumentation unterschiedliche Legitimationsanforderungen schwerlich zu begründen. Sicherlich würde der eine oder andere Freidemokrat dem folgen können.
Über den vierten und letzten Punkt der Regierungsvorlage – die militärische Hilfeleistung im Rahmen kollektiver Selbstverteidigung, also ohne Beschluß des Weltsicherheitsrates – wollen die Autoren der Diskussionsvorlage erst nach einer Einigung bei UN- Einsätzen verhandeln. Ihr Vorschlag: „Kommt ... keine Einigung zustande, ist die SPD bereit, im Deutschen Bundestag dem ,Entwurf eines Gesetzes zur klarstellenden Ergänzung des Grundgesetzes‘ unter Ausschluß des vierten Punktes die notwendige Verfassungsmehrheit zu verschaffen.“
Hier handelt es sich um den verdienstvollen Versuch, das Schäuble-Rühe-Paket aufzuschnüren: Wesentlicher Inhalt sind nahezu uneingeschränkte nationale Handlungsmöglichkeiten; vorgezeigt wird das freundlichere UN-blaue Einwickelpapier.
Bisher hat die Union mit der Mogelpackung leichtes Spiel; weil nämlich die Opposition schon bei friedensschaffenden UN-Einsätzen nein sagt, wurde die eigentliche Konfliktlinie – UN-Tauglichkeit hier, nationale Interessen da – in der öffentlichen Debatte nicht mit der nötigen Trennschärfe herausgearbeitet. Da besteht ziemlicher Nachholbedarf.
Die drei Abgeordneten skizzieren zweierlei: zum einen die Möglichkeit für die sozialdemokratische Opposition, in die Offensive zu kommen, zum anderen die Eckpunkte eines sozialliberalen Zusammengehens in dieser Frage, was auch für die Grünen aus naheliegenden Gründen von Bedeutung ist.
Ob daraus tatsächlich eine Chance wird, bleibt zweifelhaft. Statt Zuflucht in Verrechtlichung zu suchen, müßten sich viele neu auf das risikobehaftete Wagnis der Politik einlassen. Und selbst wenn dies als unumgänglich erkannt würde, griffe vermutlich ein anderer, allzu bekannter Mechanismus: auch Richtiges aus der falschen Ecke gilt gemeinhin als falsch. Arthur Heinrich
internationale Politik in Bonn
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