SOZIALE STADT: Wider die Stigmatisierung
Polizeistatistiker identifizieren "Problemstadtteile", aber Wissenschaftler warnen vor dem "Bumerang-Effekt" solcher Begriffe. Es gehe vor allem um arm und reich
"Die Stimatisierung ist viel größer als es die reale Situation wirklich hergibt." Olaf Schnur, Geograph am Zentrum für Quartierforschung der Uni Potsdam, erntete gestern viel Zustimmung für seine These zu sogenannten "Problemstadtteilen". Die Kooperationsstelle Kriminalprävention hatte zur Tagung über "Sicherheit im Quartier" in die Bremer Bürgerschaft geladen. Man suche "sozialraumorientierten Handlungsansätzen zur Förderung der kommunalen Kriminalprävention", hieß es - kurz: Was tun, um die Kriminalitätsrate in "Problemgebieten" zu senken?
Viel Widerspruch rief schon der polizeiliche Ansatz hervor, diese Gebiete zu identifizieren. Kriminalatlanten zu publizieren etwa, die Angaben zur Anzahl bestimmter Straftaten pro Stadtviertel machten, sei schlicht "Unsinn", kritisierte Schnur: "Hier werden Menschen qua Lokalität stigmatisiert." Selbst ein Vertreter der Kriminalpolizei stimmte dem zu. Der schlechte Ruf mancher Quartiere führe gerade dazu, dass diese von BürgerInnen, die es sich leisten könnten, gemieden würden, argumentierte Schnur - ein "Bumerang-Effekt" für die Prävention, wie Teilnehmer anmerkten.
Denn ebenjene "soziale und ethnischer Segregation", die in Bremen im Übrigen zunimmt, machte der Soziologe Jürgen Friedrichs von der Uni Köln als eines der Hauptprobleme aus. Nehme die Armut in einem Quartier überhand, löse das einen Teufelskreis negativer Effekte aus, warnt er. Wer es sich leisten könne, ziehe weg - die Folge: "Es fehlen die positiven Rollenvorbilder." Den "Schwellenwert" solcher Teufelskreise vermuten Soziologen bei einem Armen-Anteil von um die 20 Prozent.
In den USA, berichtet Friedrichs, sei der in vielen Fällen schon weit überschritten. Dort habe sich die Politik mancherorts schon davon verabschiedet, die Lebensbedinungen in den entsprechenden Quartieren an sich zu verbessern. Stattdessen unterstütze man dort diejenigen BewohnerInnen, denen es am wenigsten schlecht geht, beim Umzug in "bessere" Viertel - in den Augen Friedrichs eine "Verzweiflungstaktik".
Joachim Barloschky, Quartiersmanager in Bremen-Tenever, stellte auch die Bedeutung der "ethnischen Segregation" in Frage. "Wir haben es mit einer zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung, einer Spaltung unserer Städte zu tun", sagte er. Das sei "eine rein materielle Frage". Folglich müsse es auch vor allem darum gehen, der Benachteiligung der armen Bevölkerungsschichten entgegenzuwirken - gerade auch in den "benachteiligten Quartieren", an deren Bevölkerung diese einen überproportionalen Anteil haben. Wie andere kritisierte er in diesem Zusammenhang heftig die Kürzung des Bundesprogramms "Soziale Stadt".
Dem Bremer Programm "Wohnen in Nachbarschaften" (WiN) stellte Barloschky ein ausdrückliches Lob aus. Wichtiger als die Erhöhung der dort zur Verfügung gestellten Mittel sei aber eine neue Prioritätensetzung des Senats. Alle Ressorts, forderte Barloschky, müssten ihre Ressourcen konsequent auf die benachteiligten Quartiere ausrichten. Ob Bibliotheken, Kitaplätze oder besonders gut ausgerüstete Schulen: in Stadtteilen wie Tenever seien diese mindestens so wichtig wie im reichen Schwachhausen. "Das ist Kriminalprävention", betonte Barloschky: "Was denn sonst?"
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