piwik no script img

Archiv-Artikel

SINN FÜR STIL UND INSZENIERUNG Bissige Kunstfigur

Nils Schuhmacher

Naftali Bennett, der politisch wie optisch wandlungsfähige israelische Wirtschaftsminister und Vorsitzende der nationalreligiösen Siedlerpartei „Jüdisches Heim“, tritt in Videos als Hipster auf. Das bedeutet: er trägt einen kernigen Vollbart, ein dickes schwarzes Brillengestell, ist links und – das gehört aus seiner Sicht zu diesem Typus dazu – entschuldigt sich fortlaufend für alles Mögliche. Bennett gilt als sonderbarer Star mit Sinn für Stil und Inszenierung. Aber er kennt offenbar Josh Tillman nicht. Als Father John Misty tritt dieser in Videos ebenfalls als Hipster auf. Das bedeutet: er trägt einen kernigen Vollbart, ein dickes schwarzes Brillengestell und ist … weder links noch damit beschäftigt, sich für irgendetwas zu entschuldigen. Auch mit Religion hat er nichts am Hut. Das Gegenteil ist der Fall. Und vor allem gibt er den Hipster auch live.

Das allein dürfte es jedoch wohl kaum sein, was Teile des Pop-Feuilletons derzeit dazu bewegt, in diesem „größenwahnsinnigen Sack mit Sonnenbrille“ (Süddeutsche Zeitung) eine kulturelle Lichtgestalt zu sehen wie Teile der israelischen Gesellschaft in Bennett einen politischen Heilsbringer. Nur, was ist es dann? Erstens handelt es sich um einen Musiker, der erst neun Soloalben im Abseits öffentlicher Wahrnehmung platzierte, um sich dann zu relaunchen. Zweitens entpuppt er sich seitdem als überraschend bissige Kunstfigur, die sich gleichzeitig aus dem Steinbruch von Tillmans zum Teil wenig schöner Biographie bedient. Drittens garniert er dies mit jener Portion galligen Witzes, der nicht im „ironischen Zitat“ verendet. Viertens hat er seine Stimme weichwarm gestellt und in einen orchestral-mystischen Overload an Instrumenten verhallter Stimmung eingepackt, was dem Ganzen die oft anzutreffende Biederkeit des „white man moaning“-Genres nimmt. Es kommt also dieser sonderbare Star mit Sinn für Stil und Inszenierung, und man denkt: Vielleicht kennt Tillman ja Bennett. (So, 8. 3., 19 Uhr, Nochtspeicher)