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Archiv-Artikel

SIEMENS SANIERTE SICH AUF KOSTEN SEINER ZUKUNFTSMÄRKTE Kein Vorbild für die Politik

Noch vor wenigen Jahren galt Siemens als Paradebeispiel für eine erfolgreiche Sanierung. Mit seinem Zehn-Punkte-Plan sorgte der damalige Chef Heinrich von Pierer für Euphorie an den Börsen und brachte den Konzern zurück in die Gewinnzone. Der Aktienkurs stieg, die Bilanzen wurden besser. Und von Pierer genoss das Ansehen der Politik – sowohl der noch amtierende Bundeskanzler als auch seine mögliche Nachfolgerin holten ihn in ihr Beraterteam. Und erst letzte Woche wiederholte von Pierer das Mantra von der bedeutenden Rolle, die Forschung und Entwicklung in Deutschland gerade in Zeiten der Globalisierung spielen.

Nun will Siemens’ neuer Chef Kleinfeld weiter Stellen abbauen und Verlustträger abstoßen. Das zeigt, dass von Pierer offenbar seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wurde. Gerade im Bereich Telekommunikation, einst eine Paradedisziplin des Unternehmens, hinkt Siemens hinterher. Die mittlerweile verramschte Handy-Sparte rutschte auch aufgrund technischer Mängel in die Miesen. Ähnlich die Lage bei der Produktion von Telefonanlagen für Unternehmen. Hier ist die Personaldecke mittlerweile so dünn, dass die Konkurrenz erneut technologisch die Nase vorn hat. Die Sanierung des Konzerns geht auf Kosten von Forschung und Entwicklung.

Siemens ist mit diesem Problem nicht alleine. Auch die deutsche Automobilindustrie saniert sich zu Lasten ihres Erfindungsreichtums und ist auf vielen Feldern in Hintertreffen geraten. Dieselrußfilter und Hybridantriebe sind die bekanntesten Beispiele, über die die Konzernvertreter auf der Automobilausstellung in Frankfurt nicht hinweglächeln konnten. Bei aller berechtigten Kritik an Rot-Grün: Die jetzt abgewählte Regierung hat mehr in Forschung und Bildung investiert als ihre konservativen Vorgänger. Die Forderung nach Zukunftsinvestitionen, die immer wieder von der Wirtschaft erhoben wurde, ist nicht falsch. Die nächste Regierung wird aber umso leichter zu überzeugen sein, diesen Kurs fortzusetzen, je stärker die deutschen Konzernchefs in ihren Unternehmen das Vorbild abgeben. STEPHAN KOSCH