SIEMENS: DER RÜCKTRITT VON PIERERS KANN NUR EIN ANFANG SEIN : Der Druck der Börse
In der Politik treten Führungskräfte nach Skandalen dann zurück, wenn ein anderer Anwärter auf die Macht genügend Druck aufgebaut hat. In der Wirtschaft hingegen halten die aus Abhängigkeiten geflochtenen Netzwerke gemeinhin länger. Erst wenn die Sache dem Unternehmen zu entgleiten droht und die Risiken wirtschaftlich unberechenbar werden, ziehen sich die Verantwortlichen aus den Führungsgremien zurück. So fiel Peter Hartz beim größten deutschen Autobauer VW erst dann durch, als die Finanzanalysten den Bestechungsskandal zu werten begannen. Beim Weltkonzern Siemens gehen die Analysten selbstverständlich auch ein und aus und freuen sich seit Monaten über beste Bilanzen und steigende Erträge. Doch was nützen die tollen Zahlen, wenn sie sich nicht in den Aktienkursen spiegeln? Wenigstens diese Sorge ist die Siemens-Führung nun los: Nach dem angekündigten Rücktritt von Heinrich von Pierer sprangen die Kurse in die Höhe.
Dabei hatte der sich gern als Patriarch gebende von Pierer seit Monaten genügend Gründe, die Verantwortung für die Geschäftspraktiken während seiner dreizehnjährigen Zeit als Vorstandschef zu übernehmen. Bestechung von Arbeitnehmervertretern, Korruption in über 30 Ländern, Aufbau schwarzer Kassen und illegaler Finanzströme – die Staatsanwälte in München, Nürnberg und Darmstadt ermitteln wegen einer ganzen Reihe von Straftaten gegen Siemens. Eine mühselige Arbeit, denn der bürokratische Konzern wickelt seine Geschäfte über mindestens 5.000 Konten ab. Die Staatsanwälte zeigen jedoch, dass sich eine demokratische Gesellschaft nicht von einem Konzern einschüchtern lassen muss. Wie groß, wie mächtig, wie global ein Unternehmen auch sein mag: Wer geltende Gesetze anwendet, kann die schmutzigsten Auswüchse gängiger Unternehmenspraktiken eindämmen. Siemens wird deswegen kein besseres Unternehmen, aber vielleicht ein gesetzestreues. Um dieses Ziel zu erreichen, wird der Rücktritt von „Mr. Siemens“ allerdings nicht ausreichen. Im Vorstand sitzen neben Vorstandschef Klaus Kleinfeld noch weitere Verantwortliche. ULRIKE FOKKEN